Es stellt sich tatsächlich die Frage, wie weit Internet- und Kommunikationsgiganten eine freiheitliche und demokratische Gesellschaft beeinflussen können. Ist zum Beispiel Facebook eine Bedrohung? Andererseits: Wie weit dürfen staatliche Akteure Einfluss nehmen? Braucht es Verbote, Internetzensur? Darf die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden? Ist es nicht so, dass gerade die EU-Eliten die Herrschaft über die Information und Kommunikation möchte, um Opposition und EU-kritische Stimmen auszuschalten? Und das politische Bundesbern?
Facebook steht am Pranger. Wann aber stehen unsere Medienkonzerne und staatlichen Radio-TV-Anstalten zur Diskussion? Staatliche Propaganda-Tätigkeit?
Die EU organisierte eine Anhörung mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Die Berichterstattung über diese Anhörung lässt aufhorchen. Die EU-Politiker bemühten sich, moralische Überlegenheit zu demonstrieren. Am Ende waren sie die moralischen Verlierer, die peinlichen Darsteller einer grandiosen Profilierungssucht.
Lesen Sie den Bericht im Der Spiegel:
Zuckerberg-Anhörung in Brüssel
Die Blamage des EU-Parlaments
Quelle:
Die Anhörung von Facebook-Chef Zuckerberg sollte eine Sternstunde des EU-Parlaments werden - und geriet zum Desaster: Die Abgeordneten nutzten die meiste Zeit zur Selbstdarstellung.
Von Markus Becker und Peter Müller, Brüssel
Hunderte Kameraleute und Journalisten warten am Dienstag kurz vor 18 Uhr am Protokolleingang des Europaparlaments auf Mark Zuckerberg, den Facebook-Chef. Parlamentsbeamte tummeln sich auf dem Teppich, einige Damen in hochhackigen Schuhen stehen bereit, um den Facebook-Boss zum Aufzug zu begleiten. Parlamentspräsident Antonio Tajani hat ausrichten lassen, dass er Zuckerberg nicht selbst im Erdgeschoss abzuholen gedenke. Zuckerberg mag wichtig sein, ein Staatschef ist er nicht.
Auf der anderen Seite des Eingangs drängen sich Parlamentsmitarbeiter, das Smartphone im Anschlag. Jeder will einen Schnappschuss von Zuckerberg erhaschen. Schliesslich kommt er, fährt vor, gleich mit drei schwarzen Mercedes-Vans mit abgedunkelten Scheiben.
Zuckerberg huscht zum Aufzug. Es geht in den 6. Stock. Hier, im Raum PHS6B01, soll das Treffen zwischen Zuckerberg und den Fraktionsspitzen des Europaparlaments stattfinden, doch Journalisten werden bereits am Aufzug von Sicherheitsleuten in Empfang genommen und abgedrängt. Soviel zur Transparenz.
EU-Parlament versteht sich auf Promi-Termine
Zuckerbergs Auftritt ist ein echter Coup für das Europaparlament, da soll nichts schief gehen. Es mag das einzige Parlament in der westlichen Welt sein, das nicht das Recht dazu hat, selbst Gesetze auf den Weg zu bringen. Aber Promis zu empfangen, darauf versteht man sich hier. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Tajani sich am Ende doch noch hat breitschlagen lassen, die Befragung im Internet zu übertragen. Einen besseren Beweis für die Relevanz des EU-Parlaments gibt es nicht, könnte man meinen.
Eigentlich. Denn dummerweise setzt das Europaparlament die ganze Sache grandios in den Sand. Das fängt schon damit an, dass Tajani sich die Gelegenheit nicht entgehen lässt, mit einer länglichen Einleitung zu starten. Dabei hat Zuckerberg nicht viel Zeit, gerade mal von 18.20 bis 19.30 Uhr. 70 Minuten für millionenfachen Missbrauch von Nutzerdaten, für Tatenlosigkeit gegenüber Fake News, für das Ermöglichen von Wahlmanipulation. Es ist kein Vergleich zu den zehn Stunden über zwei Tage, die Zuckerberg im US-Kongress Rede und Antwort stehen musste.
Der Facebook-Chef gibt ein gutes Eingangsstatement ab, seine Leute haben ihm genau aufgeschrieben, welche Knöpfe er bei den Europäern drücken muss. Er nennt die Terroranschläge in Berlin und Brüssel, er spricht von anstehenden Wahlen, zum Beispiel die Europawahlen. "In Deutschland arbeiteten wir mit dem Bundesamt für Informationssicherheit zusammen", sagt er zur Bundestagswahl 2017.
"Wie wollen Sie in Erinnerung bleiben?"
Dann kommen die Fragen der Fraktionsvorsitzenden, von denen Zuckerberg vermutlich noch nie etwas gehört hat - doch alle nutzen die Chance für den grossen Auftritt, auch wenn das auf Kosten der gesamten Veranstaltung geht.
Als erster darf Manfred Weber fragen, der CSU-Mann, der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Europaparlament ist. Entschuldigen sei prima, sagt Weber. Er will wissen, ob der Datenskandal um Cambridge Analytica nur die Spitze des Eisbergs ist. Ob Zuckerberg seine Firma für ein Monopol halte. Die Antwort liefert Weber gleich mit: Man müsse über die Zerschlagung Facebooks nachdenken, weil es ohnehin schon zu viel Macht habe.
Der Liberale Guy Verhofstadt sorgt dann für das erste Lächeln auf den Lippen Zuckerbergs: "Sie haben sich in diesem Jahr schon drei Mal entschuldigt, und es ist erst Mai." Zuckerberg müsse sich fragen, als was er in Erinnerung bleiben wolle: "Als einer von drei Internet-Giganten, zusammen mit Steve Jobs und Bill Gates, die unsere Welt reicher gemacht haben? Oder als Genie, das ein digitales Monster geschaffen hat, das unsere Demokratien und Gesellschaften zerstört?"
Zuckerberg hört sich danach auch die Fragen von Linken-Fraktionschefin Gabi Zimmer an. Sollte er sich fragen, was ihre "Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken-Nordischen Grünen Linken" für eine Truppe ist, lässt er es sich nicht anmerken. Zimmer zitiert Goethe: "Herr, die Not ist gross, die ich rief, die Geister werde ich nun nicht los", und fragt dann: "Ist es Zeit, den Stecker zu ziehen für Facebook?" Zuckerberg wirkt derweil, als nehme er die Sache extrem ernst.
Farage: Ich bin der Grösste und werde diskriminiert
Auch die ganz Rechten haben ihren grossen Auftritt, und sie erfüllen die Erwartungen: Ober-Brexiteer Nigel Farage prahlt zunächst, "der grösste Facebook-Nutzer unter allen EU-Institutionen zu sein", zumindest was die Grösse seiner Gefolgschaft betreffe - um dann in die Opferrolle zu schlüpfen, in der sich Populisten wie er so gut gefallen. Im Januar seien die Facebook-Algorithmen geändert worden, und seitdem bekämen User mit Meinungen rechts der Mitte viel weniger Aufmerksamkeit. Seine eigenen Zahlen oder die von US-Präsident Donald Trump seien um 25 Prozent zurückgegangen.
Ein Skandal, meint Farage. "Menschen mit Meinungen im Mehrheits-Mainstream werden gezielt diskriminiert." Nicolas Bay vom rechtsextremen französischen Front National bezichtigt Zuckerberg anschliessend gar totalitärer Tendenzen, weil der Account der Jugendorganisation der Identitären Bewegung in Frankreich geblockt wurde.
Eine volle Stunde geht das so - und als Zuckerberg dann um 19.22 Uhr endlich wieder an der Reihe ist, hat er eigentlich nur noch acht Minuten. Dass er jetzt fast durchweg im Ungefähren bleibt, kann ihm niemand mehr ernsthaft ankreiden. Spätestens jetzt ist klar, dass das ganze Format schlecht überlegt, ja ein Desaster ist. Zuckerberg kann sich quasi aussuchen, auf welche der zahlreichen Fragen er antwortet - und was er sagt. Denn Nachfragen sind nicht vorgesehen.
Es ist eine irre Situation: Wochenlang haben die EU-Parlamentarier darauf hingearbeitet, dass Zuckerberg kommt, und dann reden fast nur sie. Schon während der Befragung geht auf Twitter daher die Schuldzuweisung los: Wer ist schuld an dem Format? Hat es sich Zuckerberg so ausbedungen, oder hat Tajani versagt?
Eine Viertelüberstunde für Europa
Zuckerbergs Antworten sind routiniert, er patzt nicht. Der Mann mag als IT-Genie angefangen haben, inzwischen ist er auch PR-Profi. "Keiner bei Facebook will Fake News", sagt er, spricht von neuen Tools und wie er vor 14 Jahren in seiner Studentenbude sass. Regulierung sei notwendig, meint Zuckerberg - aber sie müsse Raum lassen, um Technologien zu entwickeln.
Um 19.40 Uhr fragt er, ob er eine Frage vergessen habe. Am Ende bleibt er bis 19.45 Uhr. Eine Viertelüberstunde für Europa. Man muss ihm dankbar sein. Zuckerberg ist jedenfalls nicht schuld, dass die Sache so schief ging. Er macht dann auch gleich selbst Schluss, das passt: Er ist zwar der Gast, aber der Boss hier. Er wolle "auf die Zeit achten".
Ein paar regen sich auf. Der Grünen-Datenschutzexperte Jan Philipp Albrecht fragt nach, sein Parteifreund Lamberts schimpft, er habe keine Antwort erhalten. Tajani entgleitet die Sache zusehends.
Am Ende fragt er Zuckerberg, ob er bereit wäre, nachträglich alle nicht beantworteten Fragen schriftlich zu beantworten. Es dürften Dutzende sein. Es ist der einzige Moment, in dem der Facebook-Chef nicht Herr des Verfahrens ist. Ein "Nein" würde jetzt verheerend wirken. Also presst Zuckerberg ein knappes "Yep" heraus. "In den nächsten Tagen" möge er antworten, so lautete Tajanis Bitte. Man darf gespannt sein, wann der Schriftsatz aus Menlo Park in Brüssel eintrifft.