Der Bundesrat will, dass die Schweiz 2022 in den UNO-Sicherheitsrat gewählt wird. Die AUNS lehnt diesen nutzlosen Aktivismus aus neutralitätspolitischen Gründen ab. Der Sicherheitsrat unterliegt dem Diktat der Veto-Mächte USA, Russland, China, Grossbritannien und Frankreich. Sie beschliessen über Sanktionen und Krieg. Die aktuelle weltpolitische Situation zeigt auf, dass die neutrale Schweiz andere Aufgaben hat. Andreas Kurz, Redaktionsleiter Sonntagszeitung, bringt es in einer Kolumne auf den Punkt:
Es folgt der Originaltext der Kolumne:
Sepp Blatter zum UNO-Botschafter
Warum die Schweizer Kandidatur für den Sicherheitsrat keine gute Idee ist.
Zwar fiel die Abstimmung mit 55 Prozent Ja eher knapp aus, doch die Kommentatoren waren sich nach dem Schweizer UNO-Beitritt im März 2002 einig: Endlich sei das Abseitsstehen vorbei, endlich müsse man sich im Ausland nicht mehr rechtfertigen, endlich könne man mitreden und mitentscheiden, wenn die grossen Nationen Weltpolitik machten. Auch 16 Jahre später ist immer noch spürbar, wie gross der Schweizer Minderwertigkeitskomplex damals gewesen ist und wie deutlich sich die kommende Selbstüberschätzung abzeichnete.
Heute herrscht Ernüchterung. An einen weltpolitischen Entscheid, an dem die Schweiz massgeblich beteiligt war, erinnert sich niemand. Bei den Angriffen der USA und der EU auf das Bankgeheimnis erwies sich die UNO-Mitgliedschaft als nutzlos. Der von der Schweiz initiierte Menschenrechtsrat entpuppt sich als zynische Fehlkonstruktion, in dem Verbrecherstaaten wie Saudiarabien oder Venezuela reingewaschen werden statt bestraft. Die einst fast heiliggesprochene UNO steckt in einer der grössten Krisen ihrer Geschichte: In Syrien und der Ukraine war sie handlungsunfähig, und in der Ära von Donald Trump steht die multilaterale Organisation erst recht unter Druck.
Hierzulande offenbart sich der Stimmungswandel bei der Bewerbung für den Sicherheitsrat, dem mächtigsten Gremium der UNO, in dem die Schweiz ab 2023 für zwei Jahre Einsitz nehmen soll. Noch 2011, als die Bewerbung eingereicht wurde, wagte kaum ein Parlamentarier, sich dagegen auszusprechen. Wer Aussenministerin Micheline Calmy-Reys Politik der «aktiven Neutralität» widersprach, galt als reaktionär und ewig gestrig. Statt im Verborgenen ihre Guten Dienste anzubieten, sollte die Schweiz fortan auf Augenhöhe mit Grossmächten wie China, Russland oder den USA verhandeln.
Jetzt aber sprechen sich neben der SVP plötzlich auch grosse Teile der FDP und der CVP gegen die Bewerbung aus, wie diese Woche der «Tages-Anzeiger» berichtete. Eine Mitgliedschaft im UNO-Sicherheitsrat bringe das Land «neutralitätspolitisch in Teufels Küche», heisst es nun. Die Rolle der Schweiz als diskrete Vermittlerin sei «akut gefährdet», wenn sie in globalen Konflikten Position beziehen müsse.
Tatsächlich würden die Schweizer Diplomaten bereits seit ein paar Jahren rund um den Erdball sogenannte Wahlgeschäfte oder Tauschgeschäfte betreiben, um die Kandidatur in den Sicherheitsrat zu befördern, heisst es im Bericht. Konkret: Wenn immer die Schweiz einen anderen Staat bei einem Vorstoss in einem internationalen Gremium unterstütze oder sie Geld für ein Projekt spreche, würden die Schweizer Diplomaten noch im selben Atemzug stets freundlich, aber bestimmt um Stimmen bei der Wahl in den Sicherheitsrat bitten.
Das klingt so gar nicht mehr neutral – und kommt einem bekannt vor. Projekte unterstützen, Gelder zahlen, Stimmen erhalten: In der UNO geht es zu und her wie in der Fifa. 16 Jahre nach dem Beitritt muss sich die Schweiz entscheiden, ob sie auf dem undurchsichtigen internationalen Parkett eine unabhängige Gastgeberin bleiben oder zu einer weiteren, austauschbaren Akteurin im politischen Getümmel werden will. Dann allerdings sollte sie Sepp Blatter noch rechtzeitig zum Botschafter ernennen.
Erstellt: 04.08.2018, 23:40 Uhr
Quelle: https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/sepp-blatter-zum-unobotschafter/story/24789666