Das Institutionelles Abkommen («Rahmenabkommen») liegt seit Dezember auf dem Tisch. Der Bundesrat hat Mitte Januar über das weitere Vorgehen informiert.
Der Bundesrat hat im Dezember 2018 Kenntnis genommen vom derzeitigen Verhandlungsergebnis zum institutionellen Abkommen (InstA) zwischen der Schweiz und der EU sowie von der Tatsache, dass die EU die Verhandlungen als abgeschlossen betrachtet.
An seiner Sitzung vom 16. Januar 2019 hat der Bundesrat die Modalitäten für die Konsultationen zum Entwurf des institutionellen Abkommens beschlossen. Konsultiert werden insbesondere die Aussenpolitischen Kommissionen und die Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben des Parlaments, die Konferenz der Kantonsregierungen, die politischen Parteien mit Fraktionsstärke, die Sozialpartner (Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände), die Wirtschaft und die Wissenschaft. Die betroffenen Kreise werden zu Treffen eingeladen, an denen der Abkommensentwurf erläutert und Fragen beantwortet werden. Der Bundesrat wird sich im Frühling mit dem Stand der Konsultationen befassen. Dabei handelt es sich nicht um eine Vernehmlassung im Sinne des Bundesgesetzes über das Vernehmlassungsverfahren, sondern um direkte Treffen und Kontakte, um die Standpunkte der betroffenen Kreise einzuholen.
Durchaus verführerische «Textkurven»
Der Entwurf des InstA enthält durchaus nachvollziehbare und «sympathische Stellen». Die Präambel des Abkommens kommt mal gar nicht so schlecht daher: «UNTER HINWEIS DARAUF, dass das Ziel dieser bilateralen Abkommen darin besteht, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz auf der Grundlage von Gleichheit, Gegenseitigkeit und allgemeiner Ausgewogenheit der Vorteile sowie Rechte und Pflichten der Vertragsparteien zu festigen».
Und gewisse Elemente des Abkommens kann man durchaus als prüfenswert bis sinnvoll beurteilen wie zum Beispiel die Bildung eines gemischten parlamentarischen Ausschusses (Artikel 16) mit Mitgliedern der Bundesversammlung und des EU-Parlamentes mit dem Ziel des besseren gegenseitigen Verständnisses (etwas mehr Kenntnis von der Schweiz täte dem EU-Elfenbeinturm gut) sowie die Möglichkeit, bei der Schaffung neuer EU-Rechtsakte von Beginn an automatisch ein Mitspracherecht zu haben (Artikel 12).
Man kann auch den gleichberechtigten Zugang der Schweiz zum EU-Gerichtshof begrüssen (Artikel 10, 4.) und die Möglichkeit, die politisch motivierten Attacken einer launischen und Brexit-gestressten EU-Kommission wie zum Beispiel die Schikane der Schweizer Börse vom EuGH auf ihre Verhältnismässigkeit beurteilen zu lassen. Das InstA würde auch die Drohungen der EU-Kommission beenden, bestehende bilaterale Abkommen nicht zu aktualisieren (technische Handelshemmnisse) und keine Verhandlungen über neue Abkommen zu führen.
Die Begriffe in der Präambel des Vertragsentwurfs wie «Nachbarschaft, gemeinsame Werte, europäische Identität, Gleichheit, Gegenseitigkeit, Ausgewogenheit, Wahrung der Unabhängigkeit der Vertragsparteien, Wahrung der direkten Demokratie und des Föderalismus der Schweiz» tönen gut. Doch eine Präambel ist rechtlich nicht verbindlich und löst keine Verpflichtungen aus – also ein reiner Papiertiger.
Unter dem Strich ein gutes Abkommen für die Schweiz?
Nein. Das AUNS- Nein gründet nicht zuletzt auch auf dem «Ja-aber» des Wirtschaftsverbandes economiesuisse. Es ist erstaunlich, dass der in EU-Fragen kompromisslos Ja-agierende Wirtschaftsverband anlässlich der Jahresmedienkonferenz kritische Fragen aufwirft. Economiesuisse verlangt vom Bundesrat entsprechende Präzisierungen bei der dynamischen Rechtsübernahme, beim Subventionsrecht und Föderalismus, bei der Unterstellung des Freihandelsabkommen unter das InstA, bei der Zukunft der Sozialpartnerschaften und der Beeinträchtigung der Beziehungen zwischen der Schweiz und Grossbritannien. Nur im Gegensatz zur economiesuisse genügen uns reine Klarstellungen des Bundesrates oder der EU-Kommission nicht. Das Abkommen im vorliegenden Entwurf muss zurückgewiesen werden.
Die Katze im Sack
Bei der dynamischen (sprich automatischen) Übernahme von EU-Recht lässt das InstA offen, was die EU unter binnenmarktrelevantem Recht versteht, also demjenigen Recht, welches den EU-Binnenmarkt regelt. Die EU unterscheidet heute nicht mehr zwischen Binnenmarkt, Justiz, Inneres und Aussenpolitik. Deshalb besteht die Gefahr, dass die EU in all diesen Bereichen Recht schafft, welches sie für binnenmarktrelevant erklärt und die Schweiz deshalb übernehmen müsste. Zum Beispiel arbeitet die EU an einer neuen EU-Richtlinie zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die EU-Kommission ist der Ansicht, dass die grossen Unterschiede innerhalb des Binnenmarktes, was Elterngeld oder Elternzeitansprüche angehe, zu Verzerrungen führen – sie sind also binnenmarktrelevant. Die Deutschen Arbeitgeber (BDA) sind mit der Einmischung der Kommission nicht glücklich. Sie sehen den Dialog zwischen den Sozialpartnern, also zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, durch solche EU-Gesetze in Gefahr: «Diese Vorgehensweise der EU-Kommission ist beispiellos und stellt den europäischen sozialen Dialog grundsätzlich infrage.» [welt.de, 04.02.2019]
Personenfreizügigkeit wird ausgebaut
Die Unionsbürgerrichtlinie (Gleichstellung der EU-Bürger mit Einheimischen) wird im InstA nicht erwähnt. Das Nichterwähnen im Abkommen ist und bleibt ein Blankocheck für die EU, denn für sie ist die Personenfreizügigkeit binnenmarktrelevant. Das bedeutet, die EU kann letztendlich via EU-Gerichtshof die Übernahme erzwingen. Interessanterweise zeigt eine Graphik des Bundesrates in den Erläuterungen zum InstA (S. 17, Anhang C1) anhand der Unionsbürgerrichtlinie auf, wie EU-Recht dynamisch übernommen werden müsste.
Angriff auf bewährte Subventionspolitik
Die staatlichen Beihilfen werden in Artikel 8A schwammig und unklar geregelt. Was auf die Schweiz zukommt, ist völlig unklar. Das Abkommen hält fest: «2. a) ... Beihilfen der Schweiz oder eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, sind nicht mit dem ordnungsgemässen Funktionieren des Binnenmarkts vereinbar.»
Die kantonalen Beteiligungen an Energieunternehmen und Gebäudeversicherungen sowie die Staatsgarantie der Kantonalbanken werden unter Beschuss geraten. Zudem ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Landwirtschaft und der Tourismus der Schweizer Demokratie entrissen wird. All das wird zum Schaden der Stabilität des Landes und des Wohlstandes der Menschen in der Schweiz geschehen.
Horrende Belastung für Schweizer Sozialversicherungen
Mit Milliardenkosten müssen Schweizerinnen und Schweizer rechnen, wenn die EU die Koordination der Sozialversicherungen basierend auf dem InstA erzwingt. Das hiesse unter anderem volle Schweizer Arbeitslosenversicherung für die 320‘000 EU-Grenzgänger. Das heisst: Steuererhöhungen, mehr Lohnabzüge und weniger Rente für Schweizerinnen und Schweizer.
Freihandelsabkommen gerät unter EU-Hoheit
Das Freihandelsabkommen von 1972 ist das eigentliche Urabkommen, welches die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und EU regelt. Schwerwiegende Konsequenzen wird die InstA-Absichtserklärung haben, das Freihandelsabkommen von 1972 zu «modernisieren» und dem InstA zu unterstellen (InstA-Präambel unter dem Abschnitt «IN DER ÜBERZEUGUNG»). Die EU verfolgt das Ziel, auch das Freihandelsabkommen nach ihrer Interessenslage unter ihre Hoheit zu bringen. Deshalb muss heute schon absolut klar sein, was konkret «eine Modernisierung» bedeutet. Das InstA gibt dazu keine Antwort.
Ultimative Guillotine-Klausel kettet uns an Brüssel
Aus Sicht der Souveränität und der direkten Demokratie ist Artikel 22 ein absolutes No-Go. Der Artikel regelt die Kündigung eines einzelnen, dem InstA unterstellten Abkommens oder des InstA selber. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der Souverän der Begrenzungs-Initiative zustimmen wird und die Personenfreizügigkeit gekündigt werden müsste. Nach einem definierten Prozedere zur Streitbeilegung würde mit der Kündigung des Freizügigkeitsabkommens das InstA zusammen mit allen restlichen dem InstA unterstellten Abkommen gekündigt. Falls die Schweiz noch ein Energie- und Dienstleistungsabkommen abschliessen sollte, welche dem InstA auch unterstellt wären, würden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sowie die Kantone zum Beispiel mit der Drohung «Energieversorgung gefährdet» regelrecht erpresst – wir bleiben also im EU-Regelwerk gefangen. Die direkte Demokratie wird also in Geiselhaft genommen und verkommt zum Vorneherein zur Farce.
Regelmässige Milliardenzahlungen
Ebenfalls verknüpft die Präambel die sogenannten Kohäsionsmilliarden mit dem Binnenmarktzugang. Bis heute hat der Bundesrat den Zusammenhang verneint. Nun steht es schwarz auf weiss geschrieben: «UNTER BETONUNG der Bedeutung der Massnahmen, die zur Reduktion der wirtschaftlichen und sozialen Disparitäten zwischen ihren Regionen beitragen, und unter Hinweis auf die autonomen Beiträge der Schweiz an verschiedene Projekte und Programme in der Europäischen Union angesichts ihres Zugangs zum EU-Binnenmarkt». Von «autonom» kann endgültig keine Rede mehr sein. Die Schweiz wird zur regelmässigen und erpressbaren Beitragszahlerin in Milliardenhöhe. Wie gesagt, eine Präambel ist rechtlich nicht verpflichtend. Aber die Verknüpfung mit dem Marktzugang zeigt die politische Erpressbarkeit der Schweiz.
Im EU-Binnenmarkt herrscht EU-Recht
Das InstA sagt klar, dass der Europäische Gerichtshof das letzte Wort hat. Der EU-Binnenmarkt wird von EU-Recht geregelt. Deshalb wird der EuGH bei Streitigkeiten und Auslegungsfragen immer das letzte Wort haben, Schiedsgericht hin oder her. Die Schiedsgerichte sind reine «Feigenblätter, Alibiübungen» (InstA Artikel 4): «1. Zur Verwirklichung der in Artikel 1 definierten Ziele und unter Wahrung der Grundsätze des Völkerrechts werden die betroffenen Abkommen und die Rechtsakte der Europäischen Union, auf die darin Bezug genommen wird, in den Bereichen des Binnenmarkts, an denen die Schweiz teilnimmt, einheitlich ausgelegt und angewandt. 2. Impliziert die Anwendung der Bestimmungen dieses Abkommens und der betroffenen Abkommen sowie der Rechtsakte, auf die darin Bezug genommen wird, unionsrechtliche Begriffe, werden die Bestimmungen und Rechtsakte gemäss der vor oder nach der Unterzeichnung des betreffenden Abkommens ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgelegt und angewandt.»
Und ergänzend InstA-Artikel 10, 3.: «Wirft der Streitfall eine Frage betreffend die Auslegung oder Anwendung einer Bestimmung gemäss Artikel 4 Absatz 2 dieses Abkommens auf und ist deren Auslegung für die Streitbeilegung relevant und für seine Entscheidfällung notwendig, so ruft das Schiedsgericht den Gerichtshof der Europäischen Union an. Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union ist für das Schiedsgericht verbindlich.»
Fazit:
- Die Vorteile des vorliegenden InstA gleichen die Nachteile keineswegs aus. Das InstA vom 6. Dezember 2018 ist nicht im Interesse der Schweiz.
- Die Schweiz kauft die Katze im Sack. Die EU kann mit dem definierten Streitbeilegungsmechanismus ihre Ziele wirkungsvoll durchsetzen.
- Der Grossteil des grundsätzlichen Binnenmarktrechtes ist reines EU-Recht und unterliegt ohne Ausnahme der Auslegung des EU-Gerichtshofes (EuGH). Die Schiedsgerichte müssen die EuGH-Auslegung anwenden.
- Es ist unklar, welches Recht die EU für binnenmarkrelevant erklärt. Die EU kann die Gültigkeit ihre Rechtsakte beliebig mit dem Hinweis «Binnenmarkt» ausdehnen. Für die Schweiz ist das ein Fass ohne Boden.
- Die Unionsbürgerrichtlinie und die Koordination der Sozialversicherungen kann die EU auf Grundlage des InstA durchsetzen.
- Die bewährte Sozialpartnerschaft der Schweiz ist zu Ende.
- Die Kantone verlieren die Steuerhoheit und das Recht auf eine eigenständige Subventionspolitik.
- Die Absicht, das Freihandelsabkommen von 1972 ebenfalls dem InstA zu unterstellen, wird für die Schweiz klar negative Folgen haben
- Mit dem InstA bindet sich die Schweiz unwiderruflich und wird zur EU-Handelskolonie.
- Die Schweiz verliert ihre Unabhängigkeit durch die Aufgabe der Eigenständigkeit bei der Zuwanderungspolitik, Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Energiepolitik, Wirtschafts- und Handelspolitik sowie der Subventionspolitik.
- Die Schweiz verliert mit dem vorliegenden Entwurf des InstA das Wesen der direkten Demokratie.
Text InstA und Erläuterungen zum Abkommen auf: