Der Nachmittag nach den statutarischen Geschäften der AUNS-Mitgliederversammlung bietet jedes Jahr interessante Einsichten mit interessanten Rednern. Dieses Jahr nahm Alt Bundesrätin Micheline Calmy-Rey die Einladung zu einem Referat an. Sie überliess danach die Bühne einer interessanten Diskussionsgruppe, wobei für einmal (anders als im Staatsfernsehen) die Pro-EU-Rahmenvertrag und die Kontra-Seite mit zwei gegen zwei Personen ausgeglichen in den Fauteuils Platz nahm.
Hans-Peter Portmann, Nationalrat FDP, und Monika Rühl, Chefin Economie Suisse, hatten ihre liebe Mühe, dem Saal verständlich zu machen, dass der Rahmenvertrag eine gute Sache sei und die Souveränität der Schweiz stärke.
Moderator Reto Brennwald (Ex-SRF-Arena-Dompteur) hatte viel tun, die Diskussion und die Saal-Stimmung einigermassen zivilisiert zu halten. Er machte seine Sache souverän und liess das Podium zum Höhepunkt des Tages werden.
Monika Rühl argumentierte klar, verständlich, ruhig und mutig – sie hatte 600 Leute im Saal gegen sich, sie merkte dies unmittelbar nach Aussagen wie solchen: «Der Rahmenvertrag bringt der Schweizer Wirtschaft wichtige Rechtssicherheit und Marktzugang. Wir geben damit auch keine Souveränität an Brüssel ab.» (Laute Protestrufe im Saal).
Hans-Peter Portmann machte mit längeren, teils belehrenden Erklärungen einen eher farblosen Eindruck: «Grundsätzlich ist die Demokratie nicht gefährdet, wenn wir Souveränität abgeben.» Er hantierte mit Statistiken und Zahlen und schaffte es nicht so recht, Interesse und Respekt für seine Haltung zu gewinnen.
Die EU-kritischen «Gladiatoren» hatten den Saal auf ihrer Seite.
Alt Bundesrat Christoph Blocher: «Nur ein Blinder oder Tauber kann sagen, dass die direkte Demokratie mit diesem Rahmenvertrag nicht gefährdet ist. Achtung vor Vernünfteleien. Die Masseineinwanderungs-Intiative wurde mit klarem Auftrag angenommen. Dann haben sie in Bern ein Gesetz gemacht, das nichts verändert. Dahinter steckt eine Gesinnung der Regierenden. Regierende wollen keine direkte Demokratie, weil sie nicht wollen, dass ihnen das Volk reinredet. Früher haben sie es nur nicht so unverschämt gesagt – heute schon.» Weltwoche-Chef Roger Köppel stellte eine klare Front auf: «Ich stelle fest, dass Frau Rühl und Herr Portmann nicht mehr sehen, was uns so erfolgreich macht in der Schweiz. Nämlich, dass wir Schweizer selber festgelegt haben, welche Gesetze hier gelten. Das Rahmenabkommen will, dass wir das nach aussen abgeben. Aufgrund von ein paar kurzfristigen, möglichen Vorteilen wollen Personen wie diese zwei hier auf der Bühne unsere Souveränität aufgeben. Und es geht nicht nur um Wohlsttand, sondern auch sozialen Frieden. Die FDP (zwar eher nicht ihre Basis) und viele in Bundesbern sind heute die Totengräber des Erfolgsmodells Schweiz.»
Moderator Sennwald fragte bei Monika Rühl nach: Auch Wirtschaftsführer hätten es ja nicht gern, wenn das Volk ständig reinreden würde, «was sagen sie dazu, Frau Rühl?» – «Ich kann beim besten Willen kein Einbrechen der direkten Demokratie feststellen.» Sie zählte auf, welche Mitsprache-Möglichkeiten die Schweiz habe und wie lange die Liste von kommenden derzeit grad Abstimmungen sei. Und versuchte dann, ihre Fakten auf den Tisch zu legen. «Es geht um eine dynamische Rechtsübernahme in fünf konkreten Abkommen. Ja, in diesen Bereichen ändert sich etwas, es ist eine dynamische Rechtsübernahme, und sie ist souveränitätsstärkend.» – Aufschrei im Saal… – «Wir bleiben souverän, denn wir können bei der Entwicklung dieser Abkommen mitreden – das können wir heute nicht. Und wenn die Abkommen dann von der EU in die Schweiz kommen, folgt der normale Verlauf in der Schweiz: Bundesrat, Parlament, Abstimmung.»
Christoph Blocher gefiel vorerst mal nicht, dass Rühl ihre Haltung als diejenige der «Schweizer Wirtschaft» ausgab. «Frau Rühl, sagen Sie nicht ‹die Wirtschaft›. Ich bin auch Wirtschaft, und ich stehe nicht hinter dem Rahmenvertrag. Auch die Uhrenindustrie – lange nicht nur Herr Hayek – steht nicht dahinter.» – Rühl: «Ich spreche für unsere Mitglieder, wir haben breit diskutiert, und ich stehe für die grosse Mehrheitsmeinung der economies suisse.» – Blocher: «Jaja, für die Manager von Konzernen, die nicht langfrisig denken, die kurzfristig Erleichterungen wollen. Wir verkaufen unsere Schweizer Produkte doch nicht, weil wir Gesetze unbedingt überall angleichen. Sondern weil wir gute Produkte haben! Frau Calmy-Rey, obwohl sie nicht eine bürgerliche ist, ist trotzdem ehrlich. Sie sieht das auch so. Das Rahmkenabkommen ist nicht die Fortsetzung des bilateralen Weges, sondern sein Ende.»
Brennwald wollte nach diesem hitzigen Kreuzen der Klingen («rhetorische Explosionen») dann wissen, was denn die Alternative zum Rahmenvertrag sei.
Christoph Blocher: «Gar nichts machen. Da sitzen und mit bestehenden Abkommen weiterarbeiten. Ja, es gibt eine kleine Gefahr, zum Beispiel bei den technischen Handelshemmnissen, da muss man sicher gewisse Normen einzeln nachregeln. Langfristig bringen uns aber direkte Beziehungen ohne Rahmenvertrag mehr.»
Nachfolgend einzelne Voten und Themen aus der Diskussion:
Zur EU-Drohung, dass die Schweiz aus Forschungsprogrammen rausfalle:
Christoph Blocher: «Die Gelder, die die Schweiz in EU-Forschungsprogramme reinpumpt, würde sie besser direkt in die eigene Forschung stecken. Für mich gilt übrigens Forschung nicht als reine Tätigkeit, sondern als Suche nach konkretem Resultat.»
Zu unterschiedlichen Sichtweisen, je nach der Welt, in der man sich bewegt:
Hans-Peter Portmann: «Wissen Sie, ich reise so oft ins Ausland, ich habe regelmässige Gespräche mit gegenüberstehenden Kommissionen in Brüssel, auch in anderen Gremien im Ausland. Ich kann Ihnen sagen: Wir werden nicht mehr geschätzt im Ausland. In Südkorea, Südafrika, USA oder was auch immer. Wir haben den Bonus von früher nicht mehr.» (Lauter Protest) Roger Köppel musste da klarstellen: «Herr Portmann, ein Tipp: Reden Sie nicht ausschliesslich mit diesen EU-Bürokraten in klimatisierten Konferenzräumen.»
Zur Frage, ob die Schweiz denn so klein sei gegenüber der so übermächtigen EU:
Roger Köppel: «Es geht der EU um Macht. Das ist aber nichts neues in der europäischen Geschichte. Im 19. Jahrhundert war der Druck auf die Schweiz riesig, es standen Armeen an der Grenze. Man lese den dritten Band des Werkes ‹Geschichte des Kantons Zürich in drei Bänden›. Und, liebe FDP, hört doch auf, bei jedem Stirnrunzeln eines Junckers sofort ins Mauseloch zu kriechen.»
Christoph Blocher: «Was sollte die EU denn für ein Interesse haben, uns zu bestrafen, so dass wir nicht verkaufen können? Die Schweiz ist ein sehr guter Kunde der EU. Ein Kunde übrigens, der zahlt, und die EU muss uns nicht noch zuerst Kredite geben, womit wir damit dann die Rechnungen bezahlen. Zum Druckmittel des Entzugs der Börsenequivalenz: Es gibt auch Stimmen, die sagen, man solle das nur so kommen lassen, weil dann die Schweizer Börse wieder erstarken könnte, klein und erfolgreich.»
Zum eigentlichen Beweggrund der EU:
Roger Köppel: «Was will die EU? Sie hat gesagt, im 2008, jetzt sei fertig mit diesem bilateralen Weg, ‹der Bundesrat hat uns versprochen, die Schweiz komme in die EU, aber sie kommt nicht. Jetzt machen wirs anders.› Juncker sagt, die Schweiz sei ein geopolitisches Unding. Manfred Weber, vielleicht Junckers Nachfolger, redet von den störrischen Schweizern, bei denen man andere Saiten aufziehen müsse. Zuchtrute, Peitsche – DAS ist das Rahmenabkommen – ein Unterwerfungsabkommen. Die Schweiz soll bis zur Ununterscheidbarkeit in der EU aufgelöst werden. Auch Micheline Calmy-Rey sagt: Das Rahmenabkommen macht die Schweiz unfrei.»
Warum die öffentliche Schweiz überhaupt so aktiv über den Rahmenvertrag disktuiert…
«Der grosse Verdienst der AUNS, auch von Christoph Blocher und seinem EU-No-Kommitee ist, dass dieser Rahmenvertrag im Bundeshaus nicht irgendwo hintendurch geschmuggelt wurde. Jetzt müssen wir als Parlamentarier dafür sorgen, dass es ein obligatorisches Referendum gibt.
Am Ende des Tages ist es eben immer die Frage: Wer ist der Chef im Schweizerland? Es ist sicher nicht so, wie die NZZ schreibt, die Schweiz sei keine Willensnation. (Was ist mit der NZZ los?) Die Schweiz ist eine Willensnation! Die direkte Demokratie müssen Sie, meine Damen Herren, verteidigen!»