Prof. Dr. Hans-Ueli Vogt ist ordentlicher Professor für Privat- und Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich und Kantonsrat im Kanton Zürich. Er hat die Arbeitsgruppe der SVP Schweiz geleitet, die die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» ausgearbeitet hat. Im Gespräch mit der AUNS zeigt er auf, wie sich Bundesbern und Brüssel daran machen, Schweizer Recht auszuhebeln.
Die Begriffe Völkerrecht, internationales Recht und damit verbunden fremde Richter werden verstärkt diskutiert. Was ist eigentlich Völkerrecht und wie kommt es zustande? Man kann drei Quellen und Entstehungsgründe von Völkerrecht unterscheiden. Erstens das Völkerrecht, das die Staaten in Staatsverträgen vereinbart haben, zweitens das Völkerrecht, das – gestützt auf einen Staatsvertrag – von internationalen Behörden oder Organisationen (u.a. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EU oder UNO) geschaffen wurde, und drittens das Völkerrecht, das als Gewohnheitsrecht zwischen den Staaten gilt. Man könnte statt von «Völkerrecht» auch von «internationalem Recht» sprechen. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat das Völkerrecht von internationalen Behörden und Organisationen einen immer grösseren Einfluss erhalten. Dieses Völkerrecht ist Recht von Richtern und Experten, die weit weg von der Bevölkerung und ohne irgendeine finanzielle Verantwortung Richtlinien und Urteile erlassen, die die Staaten dann umsetzen müssen. Den Einfluss dieses Völkerrechts müssen wir stoppen. Es geht nicht um die Staatsverträge. Diese sind für die Schweiz wichtig, und sie soll mit möglichst vielen Staaten gute Verträge abschliessen.
Sie gelten als «Vater» der Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter». Die SVP Schweiz hat den Initiativtext verabschiedet. Warum jetzt gerade diese Initiative? Dass das Völkerrecht die Souveränität einschränkt, dass unsere Verwaltung, die Gerichte und die Wissenschaft darüber aber zu einem grossen Teil durchaus glücklich sind, das hat die SVP und hat vor allem alt Bundesrat Christoph Blocher schon vor einigen Jahren zur Sprache gebracht. Mit einem Urteil des Bundesgerichts vom 12. Oktober 2012* ist erstmals deutlich geworden, dass sogar das nicht zwingende Völkerrecht, wie namentlich die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und seine Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof in Strassburg, über unserer Verfassung stehen soll. Das Recht internationaler Organisationen und Entscheide internationaler, ausländischer Gerichte sollen über dem Schweizer Volk stehen. Damit war klar: Jetzt müssen wir handeln! Und die SVP hat gehandelt und die Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» lanciert.
Welches sind die jüngsten Ereignisse, die zeigen, dass unser Recht von internationalem Recht ausgehebelt wird? Ausgehebelt wird unser Recht nur, wenn wir zulassen, dass es ausgehebelt wird, das heisst, wenn wir dem internationalen Recht den Vorrang einräumen. Wenn wir hingegen in unserer Verfassung festhalten, dass die Verfassung über dem Völkerrecht steht, dann heisst das, dass das Volk es nicht zulässt, ausgehebelt zu werden. Darum ist unsere Initiative so wichtig. Man sieht das zum Beispiel bei der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative: Dort wird argumentiert, man könne sie nicht eins zu eins umsetzen, weil dies der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes in Strassburg widersprechen würde. Den Einfluss des internationalen Rechts erkennt man aber auch bei den Steuerreformen oder im Bereich der Finanzdienstleistungen: In diesen Bereichen ist die schweizerische Rechtsentwicklung vom internationalen Recht getrieben. Wohl verstanden: Wir lassen uns treiben; wir könnten uns auch widersetzen.
Weshalb soll in diesen Fällen das schweizerische Recht und nicht das internationale Recht gelten? Wenn etwas in unserer Verfassung steht, muss das Vorrang vor dem internationalen Recht haben – immer mit Ausnahme des zwingenden Völkerrechts (u.a. Verbot von Folter, Völkermord, Sklaverei). Denn das Volk und die Kantone stehen in unserem Land zuoberst, also steht in der Rechtsordnung die Verfassung zuoberst. In vielen Bereichen ist es sinnvoll, wenn wir unser Recht dem internationalen Recht anpassen, vor allem dort, wo wir mit der Angleichung des Rechts den Export für unsere Unternehmen vereinfachen können. Sie müssen dann zum Beispiel ihre Produkte nicht nach unterschiedlichen Normen herstellen, einmal für die Schweiz und einmal fürs Ausland. Aber wir müssen bei der Rechtsangleichung zurückhaltend sein, denn internationales Recht, vor allem das EU-Recht, ist meistens weniger freiheitlich. Es bevormundet die Bürger und Unternehmen und überträgt dem Staat immer neue Aufgaben, statt die Freiheiten der Bürger vor dem Staat zu schützen.
Politik und Medien haben auf die Volksinitiative heftig reagiert. Sie werfen Ihnen vor, gegen die Menschenrechte zu sein und sogar die EMRK kündigen zu wollen. Ich bin nicht gegen die Menschenrechte, sondern ich bin für den Schutz der Menschenrechte. Nur meine ich damit vor allem den Schutz der Freiheiten der Bürger gegenüber dem Staat: die Meinungsfreiheit, die Wirtschaftsfreiheit, die Eigentumsgarantie, die Freiheit vor Eingriffen des Staates in die Privatsphäre und vor allem auch die politischen Rechte der Bürger. Diese Rechte sind die Wurzeln der Menschenrechte. Aber von diesen Rechten reden diejenigen, die jetzt die «Menschenrechte» glorifizieren, keinen Moment. Ihnen geht es um soziale Grundrechte und um Ansprüche gegenüber dem Staat: Recht auf Asyl, Recht auf Familiennachzug, Recht auf Sozialhilfe, Recht auf unentgeltlichen Hochschulunterricht, Recht auf medizinische Versorgung usw. Mit diesen Menschenrechten wird der Sozialstaat verwirklicht. Ich bin nicht gegen Sozialleistungen des Staates, aber wie weit diese gehen sollen, das entscheiden wir in der Schweiz selber, dafür brauchen wir keine Urteile von Richtern in Strassburg, die unsere Verhältnisse nicht kennen und keine Verantwortung gegenüber dem Volk tragen.
Richter und Rechtsprofessoren warnen vor der Initiative. Sie argumentieren, die Initiative schaffe Rechtsunsicherheit und heble den Rechtsstaat aus. Stehen Rechtsstaat und unsere Demokratie nicht mehr im Einklang? Die Initiative schafft nicht Rechtsunsicherheit, sondern stellt wieder klare Verhältnisse her, nachdem die gleichen Kreise, die jetzt vor der Initiative warnen, in den letzten 20 Jahren bewusst zuerst eine Rechtsunsicherheit geschaffen haben, um anschliessend den absoluten Vorrang des Völkerrechts verkünden zu können. Mit der Initiative soll die ursprüngliche, klare und eindeutige Ordnung wieder hergestellt werden. Die Initiative hebelt auch den Rechtsstaat nicht aus. Der Rechtsstaat ist bei uns durch die Verfassung gewährleistet, und diese Verfassung haben das Volk und die Kantone beschlossen. Wir haben ein funktionierendes Rechtssystem und eine funktionierende Justiz. Wir brauchen kein internationales Gericht, das uns sagt, wie wir den Rechtsstaat zu verwirklichen haben. Wenn an ihm etwas nicht gut ist, können wir das selber verbessern.
Die Unterschriftensammlung wird im Verlauf dieses Jahres gestartet.
* Das Urteil vom 12.10.2012 betraf die Ausschaffung eines Mazedoniers, der gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen hat. Das Bundesgericht bezeichnete die Ausweisung des kriminellen Ausländers als unverhältnismässig und berief sich dabei auf das Völkerrecht.