Kritischer Rückblick auf die Frühlingssession der eidgenössischen Räte:
Am 1. August 2014 ist das "Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt"(sogenannte Istanbul-Konvention) in Kraft getreten. Bisher hat erst eine Minderheit von 22 der 47 Europaratsstaaten diese Konvention ratifiziert. Die Schweiz genügt grundsätzlich den Anforderungen, Frauen und Mädchen vor jeglicher Form von Gewalt zu schützen.
Bei der Lektüre der Bundesratsbotschaft fielen den FDP-Standesherren Thomas Hefti (GL) und Martin Schmid (GR) sowie dem parteilosen Schaffhauser Ständerat Thomas Minder (SVP-Fraktion) derart viele fragwürdige Neuerungen auf, dass sie in der Frühjahrssession dem Plenum einen (erfolglosen) Nichteintretensantrag stellten. Dabei hatte sich der Bundesrat alle Mühe gegeben, dieses Traktandum als belangloses Routinegeschäft durchzuwinken.
Verpflichtende Massnahmen
Doch der Teufel steckt in den Details. Die Vertragsstaaten werden verpflichtet, Massnahmen wie Sensibilisierungsprogramme, die Sicherung der Aus- und Fortbildung von Berufsleuten sowie die Bereitstellung von Interventions- und Behandlungsprogrammen für Täter vorzusehen. Für Opfer sind "genügend Schutzunterkünfte und eine nationale Telefonberatung" bereitzustellen.
Im Bereich von Migration und Asyl werden unter anderem eigenständige Aufenthaltstitel für Gewaltopfer gefordert. Schliesslich behandelt die Konvention die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Vertragsparteien, "die schnell und effizient abzuwickeln ist". Die Umsetzung der Konvention wird durch eine unabhängige Expertengruppe überwacht. Das alles liege im Interesse der Schweiz, befand der Bundesrat. Einzig die Frage, ob und gegebenenfalls wie das bestehende Angebot an Telefonberatungen auszubauen wäre, sei vertieft abzuklären.
Mitmachen um jeden Preis
"Die Konvention bringt einen Überwachungsmechanismus, den der Bundesrat in der Botschaft als 'relativ weitgehend' beschreibt, wir sind also gewarnt", führte Ständerat Hefti im Plenum aus. Und weiter: "Wir haben es gehört. Wir wissen es. Es kann weit gehen. Ein Gremium von zehn, höchstens fünfzehn Mitgliedern ist mit der Überwachung betraut. Die Vertragsstaaten haben periodisch Berichte zu erstellen, das Überwachungsgremium kann Länderbesuche durchführen. Es kann Massnahmen empfehlen und sicher auch Listen aufstellen, Pendenzenlisten, gelbe Listen, schwarze Listen, graue Listen. Wer glaubt, dass die Vertretung der Türkei oder Russlands in dieser Kommission je etwas sagen wird, was dem entsprechenden Präsidenten nicht passt, zahlt einen Taler. Uns werden aber bestimmt Empfehlungen gemacht werden, und wir werden sie umsetzen, allenfalls mit helvetischem Finish."
Die Konvention werde eine Dynamik entwickeln, die zur Folge habe, dass man in Bern bezüglich Strafrecht, Prävention, Sensibilisierung und auch im Asylrecht vieles grundlegend ändern müsse. Bei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) habe man auch gesagt, es werde eigentlich nichts ändern, es sei schon alles im Schweizer Rechtsbestand enthalten. Trotzdem habe sich das ganz anders entwickelt hat, verwies Ständerat Hefti auf bedenkliche Erfahrungen. Auch andere Europarats-Konventionen zeigten, wie die "Überwachung" funktioniere. So das 2005 vom Bundesrat als völlig unbedenklich empfohlene Abkommen zur Korruptionsbekämpfung. Dieses Papier dient der Staatengruppe gegen Korruption (Greco) des Europarats, um die Schweiz wegen ihres Systems der auf Freiwilligkeit und Spenden beruhenden Parteienfinanzierung ohne staatliche Einmischung anzuprangern und den Bundesrat zum Durchgreifen aufzufordern.
Doch mit 32 Ja gegen 12 Nein bei einer Enthaltung kam auch das neueste Übereinkommen "zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" durch. Nächste Gelegenheiten zur kritischeren Bewertung der Konvention dürften sich in der nationalrätlichen Rechtskommission und danach im Plenum der Grossen Kammer bieten.
Milliardengeschenke versandbereit?
Die St. Galler FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter erkundigte sich bei der Behandlung des Aussenpolitischen Berichts des Bundesrats, ob es zutreffe, dass das Departement für äussere Angelegenheiten bereit sei, eine neue Ostmilliarde beziehungsweise weitere Kohäsionszahlungen an die Europäische Union (EU) ohne Bedingungen und ohne Verknüpfung mit anderen Dossiers zu leisten: "Mich würde interessieren, ob allfällige neue Zahlungen in einen Gesamtkontext der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU gestellt werden. Wenn ich Gesamtkontext sage, meine ich nicht eine direkte Gegenforderung bei einem Dossier aufgrund eines anderen. Es muss vielmehr eine Globalbetrachtung stattfinden. In einer Verhandlung zwischen zwei Partnern muss ein Geben und Nehmen gelten."
Burkhalter beruhigte, der Bundesrat habe den Antrag des Aussen- und des Wirtschaftsdepartements angenommen, eine Vorlage für einen neuen Kohäsionsbeitrag vorzubereiten. Ob und wann er diese dem Parlament vorlege, werde der Bundesrat aber im Zusammenhang mit der Entwicklung der Beziehungen zur EU entscheiden. Anzeichen für Verbesserungen gebe es, das genüge aber nicht: "Der Bundesrat erwartet von der EU nicht nur Signale, sondern konkrete Fortschritt in den Dossiers."
Aussenpolitik unter Köppels Lupe
Sehr viel kritischer als der Ständerat befasste sich der Nationalrat mit dem Aussenpolitischen Bericht. Insbesondere der Zürcher SVP-Vertreter und "Weltwoche"-Herausgeber sowie Chefredaktor Roger Köppel sprach Klartext. Zwar sei die Feststellung des Bundesrats korrekt, dass "immer mehr Staaten ihre nationalen Interessen stärker geltend machen und auf einer Politik der Nichteinmischung bestehen". Dazu stellte Köppel aber Fragen: "Warum macht die Schweiz, warum machen Sie, geschätzter Herr Bundesrat, das exakte Gegenteil? Warum besteht unsere angebliche Interessenpolitik darin, dass wir ständig den Interessen aller anderen entgegenkommen? Warum lassen wir es zu, dass die EU, etwa bei der Umsetzung der Masseneinwanderungspolitik, direkt in den parlamentarischen Prozess unseres unabhängigen, souveränen Staates eingreift? Wann, geschätzter Herr Bundesrat, heisst es eigentlich endlich auch in unserer Aussenpolitik wieder 'Switzerland first'?"
Den bundesrätlichen Bericht bezeichnete Köppel als "eine sprachliche Zumutung ohne Schwerpunkt, ein ausschweifendes Durcheinander zu ungezählten Aktivitäten und Aktivismen, die alle irgendwie darauf hinauszulaufen scheinen, dass die Verfasser und ihr Chef weltpolitisch eine bedeutende Rolle spielen wollen. Ist es überhaupt ein aussenpolitischer Bericht, oder lese ich die Werbebroschüre eines Hilfswerks?"
Direkt an Burkhalters Adresse richtete der Zürcher Volksvertreter folgende Sätze: "Geschätzter Herr Bundesrat, verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin voller Bewunderung dafür, wie Sie und Ihre Leute inzwischen fast ausschliesslich damit beschäftigt sind, unseren Planeten zu retten. Von der Geschlechtergleichstellung am Frauentag in Burkina Faso bis hin zu den Auswirkungen des Klimawandels am Krisenbogen des Südsudan scheint Ihrer Behörde keine Katastrophe zu gross und kein Konflikt zu entlegen zu sein, als dass Sie sich nicht sofort darauf stürzen. Ich frage mich allerdings, ob den Interessen der laut Verfassung immer noch neutralen, also gemäss Duden unparteiischen Schweiz, wirklich gedient ist, wenn Sie dem türkischen Aussenminister in Bern wie einem Schulbuben die Leviten lesen oder wenn Sie in Interviews die Politik des amerikanischen Präsidenten kritisieren. Dieser Bericht belegt: Im Aussendepartement liegt vieles im Argen. Ich bin gerne bereit, bei Verbesserungen mitzuhelfen und anzupacken."