Ein Gespräch mit Jürgen Elsässer, Chefredakteur Compact-Magazin.
Herr Elsässer, seit 2010 verlegen Sie das Compact-Magazin. Der Slogan heisst «Mut zur Wahrheit». Schreiben die anderen Medien die Unwahrheit?
In Deutschland sind die Medien stark monopolisiert und gleichgeschaltet. In dieser Situation ist es wie George Orwell gesagt hat: «Eine revolutionäre Tat die Wahrheit auszusprechen.» Unser Ansatz ist es, die Dinge, die im Mainstream tabuisiert oder verdreht werden, auszusprechen und so der schweigenden Mehrheit eine Stimme zu geben.
Dazu gehört zum Beispiel, dass die EU die «Abrissbirne Europas» ist oder dass weitere Zuwanderung nicht mehr verkraftbar ist. Auf dieser Schiene versuchen wir eine populäre und leicht verständliche Zeitung zu machen, welche die Fakten präsentiert, die anderswo unterdrückt werden.
Sie haben gerade gesagt, die EU sei die «Abrissbirne Europas». Inwiefern trifft dies zu?
Innerhalb der EG (Vorläuferin der EU) war das Nationalstaatsprinzip das bestimmende und es gab Erleichterungen bei den Handels- und Industrie-Beziehungen. Diese Berücksichtigung der nationalstaatlichen Prinzipien brachte Wohlstand für alle beteiligten Mitgliedsstaaten.
Seit der Einführung der EU durch die Maastrichter Verträge 1992 werden die Nationalstaaten systematisch gleichgeschaltet und abgeschafft. Die konkurrenzfähigen Volkswirtschaften konkurrieren die schwächeren Volkswirtschaften zu Grunde. Dies führt dazu, dass die Feindschaft zwischen den europäischen Völkern, welche nach dem 2. Weltkrieg abgebaut worden ist, wieder aufflammt, sodass heute die Griechen die Deutschen hassen und die Deutschen die Griechen.
In Griechenland wurden ja Reformen erzwungen, welche zu höherer Arbeitslosigkeit, Hunger und Obdachlosigkeit geführt haben. Inwiefern ist die EU dafür verantwortlich?
Der schlagende Beweis für die verbrecherische Politik der EU ist der Vergleich zwischen der griechischen und der isländischen Situation. Beide Länder hatten vor der Krise etwa denselben Schuldenstand. Und wir können heute feststellen, dass in Griechenland aufgrund der durch die Troika aufgezwungenen Austeritätspolitik das Einkommensniveau stark eingefallen ist. Die medizinische Versorgung ist so schlecht geworden, dass Menschen wegen mangelnder ärztlicher Hilfe sterben müssen, die Lebenserwartung hat markant abgenommen, ein Teil der Bevölkerung hungert.
Auf der anderen Seite hat sich Island aus der Krise befreien können, weil über einen Volksentscheid die Banken teils verstaatlicht wurden. Die ausländischen Banken mussten einen kompletten Forderungsverzicht hinnehmen.
Diese Politik wäre im Rahmen der EU gar nicht möglich gewesen, weil EU-Kommission und EU-Gerichtshof einen solchen Volksentscheid gegen die Bankengläubiger nicht zugelassen hätten.
Für Griechenland und für viele Griechen ist die EU-Mitgliedschaft nicht nur sprichwörtlich, sondern de facto ein Todesurteil. Ausserhalb der EU konnte sich Island aus der Krise befreien.
Zur Aussenpolitik: Welche Rolle spielt die EU in der Ukraine?
Wir hatten die Chance, die Ukraine als Brücke zwischen Ost und West auszubauen. Es gab entsprechende russische Angebote. Diese wurden von der EU verworfen und Kiew wurde vor die Alternative gestellt, entweder einen Vertrag mit der EU oder mit den Russen abzuschliessen.
Die Handelsbeziehungen zwischen der Ukraine und Russland sind in den letzten Jahren stark angewachsen. Das russische Angebot sah grosszügige Zahlungen an Kiew vor, ohne diese an Bedingungen wie Lohn- oder Rentenkürzungen zu knüpfen. Es war nicht russischer Druck, welcher Janukovic dazu gebracht hat, die EU-Assoziierung 2013 zu verweigern, sondern eine nüchterne Abwägung der Interessen.
Aber die EU und die USA haben die Proteste, welche zuerst ihre Berechtigung hatten, weiter angefacht und den Leuten suggeriert, sie könnten bald so leben wie die Deutschen oder die Franzosen. Die EU hat also die Rolle des Brandstifters gespielt.
Zur Berichterstattung über die Ukraine: Welche Rolle kommt den Medien in Europa zu?
In Deutschland kann man eine Gleichschaltung feststellen. Medien, die etwa beim Irakkrieg 2003 noch auf der Seite der Skeptiker waren, sind jetzt zu einer einheitlichen anti-russischen Front übergegangen. Ohne zu zögern fällt man in die Stereotypen des Kalten Kriegs zurück und tut so, als sei das heutige Russland noch immer die Sowjetunion. Dabei sind die schlimmsten Charakterzüge der UdSSR auf die EUdSSR in Brüssel übergegangen, nämlich etwa die Herrschaft der Kommissare oder die familienfeindliche Politik des frühen Bolschewismus, die heute in Russland vollständig überwunden ist, in der EU aber fröhliche Urstände feiert.
Sie sind bekennender Schweiz-Fan. Was gefällt Ihnen am meisten an der Schweiz?
Wie ich es in meinem Buch «Erfolgsmodell Schweiz» geschrieben habe, sind an der Schweiz die wehrhafte Neutralität, die selbstbestimmten Steuern und natürlich die direkte Demokratie vorbildlich.
Für mich ist die Schweiz das demokratischste Land auf der Welt mit einer gesunden Mischung aus parlamentarischen Elementen und den Möglichkeiten des Volkes, eigene Akzente zu setzen oder die Politik zu bremsen. Mit den Volksinitiativen kann die Bevölkerung eigene Ideen in die Exekutive einbringen. Das gibt es sonst nirgends.
Sie haben die Neutralität als erster Punkt erwähnt. Inwiefern ist diese wichtig? Was spielt sie für eine Rolle in Europa?
Europa sollte nach dem Modell Charles de Gaulles aufgebaut werden, also sich aus der Abhängigkeit der USA lösen und die Militärstruktur der NATO verlassen. Die Neutralität ist das beste Modell für Europa, welches sich als Bindeglied zwischen den Interessen des Westens und des Osten versteht.
In der Schweiz kommt die EU-Kritik praktisch nur von rechts. Sie, Herr Elsässer, kommen überhaupt nicht aus dem rechten Rand der Politik. Wie sehen Sie das?
Ich halte das Links-Rechts-Schema für überholt. Wenn man aber dieses Schema benutzen will, dann ist der Ansatz, den die AUNS verfolgt, von der Tradition her gesehen eher ein linker Ansatz.
Das müssen Sie erklären …
Die Verteidigung der Volksdemokratie gegen die grossen Finanzmächte und Geld-Dynastie ist der Ansatz der Französischen Revolution. Die Verteidigung der Unabhängigkeit einer Republik gegen ein kolonialistisches Imperium – wie die EU eines ist – ist auch ein linker Ansatz.
Wenn ich mir das Referendum gegen die Masseneinwanderung anschaue, ging es im Kern darum, die eigenen Sozialstandards und das relativ gute Lohnniveau der arbeitenden Klassen gegen Billiglöhner, die über offene Grenzen frei zuwandern dürfen, zu verteidigen.
Dieser souveränistisch republikanische Ansatz entspricht den alten linken Traditionen, die heute durch die real existierenden Linken vergessen worden sind und sogar bekämpft werden. Die heutige Linke macht eine Politik, die sich zulasten der arbeitenden Menschen auf Minderheiten-Lobbyismus spezialisiert.
Dass die EU von linker Seite nicht kritisiert wird, ist paradox. Die EU selbst betreibt eine Politik, welche die Arbeitende Bevölkerung schwächt, wovon die Finanzdynastien profitieren. Dass die Linke dieses Spiel mitträgt, beweist, dass sie ihre Ideale verraten hat.
Das Gespräch führte Albert Leimgruber
Seit der Einführung der EU durch die Maastrichter Verträge 1992 werden die Nationalstaaten systematisch gleichgeschaltet und abgeschafft.
Jürgen Elsässer (geb. 1957 in Pforzheim) war mehrjährig Redakteur des Hamburger Magazins «Konkret» und der Tageszeitung «Junge Welt».
Seit 2010 ist er Chefredakteur von «COMPACT – Magazin für Souveränität», einem Monatsmagazin, welches als Schwerpunkte über Geopolitik und Internationale Beziehungen berichtet.
In den vergangenen 25 Jahren hat Jürgen Elsässer knapp 30 Bücher verfasst (darunter Erfolgsmodell Schweiz, Wie der Dschihad nach Europa kam, Kriegslügen. Der NATO-Angriff auf Jugoslawien). Als ausgewiesener Kenner der Geheimdienste arbeitete er im Jahr 2005 für die Linksfraktion im BND-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages.
«Compact» ist in der Schweiz problemlos als Abonnement erhältlich.
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