Mit Präzision, Ruhe und scharfem Blick seziert NZZ-Redaktor und Ökonom Thomas Fuster die Fehlkonstruktion EU. Sein sehr lesenswerter Kommentar bringt nüchtern auf den Punkt, was im Brexit-Sommer oft weniger nüchtern debattiert wurde.
Es fängt schon an beim Titel von Fusters NZZ-Kommentar: «Die Lebenslüge der EU».
Nach der allgemeinen, durch Rudelmedien emsig angefachten Brexit-Panik, stellt man fest: London lebt! «Nüchtern ist festzustellen, dass die Themse noch immer Wasser durch London trägt.» Nur in Brüssel halte noch immer «Schockstarre» an. Als ob es verboten sei, aus der EU auszutreten. Fuster: «Mancher Berufseuropäer scheint die Abspaltung als neuzeitliche Majestätsbeleidigung zu werten. Erneut bestätigt sich in diesen Kreisen der Verdacht, dass dem Stimmvolk nicht zu trauen sei.»
Auch in Ländern wie Frankreich, den Niederlanden oder Österreich wachsen die Kräfte, die darauf hinarbeiten, es den Briten gleichzutun. «Die Entfremdung zwischen der Brüsseler Elite und der Bevölkerung wächst.» – «Diesen Unmut als Ausgeburt von Populismus und Hinterwäldlertum herunterzuspielen, ist wenig hilfreich und nährt nur den Verdacht einer abgehobenen und sich verselbständigenden EU-Kaste.»
Fuster analysiert, was gut ist an der EU (freier Verkehr für Waren, Dienstleistungen, Kapital) und was Fehlkonstruktion ist (Euro, freier Personenverkehr). Als Ökonom weiss er: «Die wirtschaftliche Verflechtung früherer Kriegsgegner trug auch dazu bei, dass der Kontinent von blutigen Konflikten grösstenteils verschont blieb.»
Zum Spaltpilz Euro zitiert Fuster den deutsch-britischen Soziologen, Politiker und Publizisten Ralf Dahrendorf (1995!), der den Euro als «abenteuerliches, waghalsiges und verfehltes Ziel, das Europa nicht eint, sondern spaltet».
Foster benennt den freien Personenverkehr («Die EU beharrt auf einer Personenfreizügigkeit ohne Wenn und Aber») als den zweiten Spaltpilz, der mit dem Euro korreliert. «Der Euro und der freie Personenverkehr mögen als zwei sehr unterschiedliche Streitpunkte erscheinen. Die beiden Themen verbindet aber eines: Sie nehmen einen Zustand vorweg, den es nicht gibt und auf absehbare Zeit auch nicht geben wird: eine europäische Staatlichkeit.»
In Sachen Personenverkehr plädiert Fuster für ein System, das Einwanderern erklärt, sie müssen sich an der Infrastruktur des «Clubs», den sie nutzen wollen, beteiligen.
Das Problem: «Brüssel scheint für solche Reformen kein Gehör zu haben. Die uneingeschränkte Personenfreizügigkeit gilt als sakrosankt, selbst Debatten darüber sind tabu. Mit dieser Haltung gefährdet man das übergeordnete Ganze, den Binnenmarkt. Der Brexit, der bei mehr Entgegenkommen Brüssels in der Migrationsfrage kaum eine Mehrheit gefunden hätte, sollte ein Weckruf sein.»
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Einer der mehr als 150 Kommentare zu Fusters Kommentar: «Es freut mich festzustellen, dass auch die NZZ den unüberlegten Hurra-Internationalismus aller Richtigdenkenden der letzten 25 Jahre überwunden hat. Nicht nur dieser Artikel zeigt, dass die Redaktoren an der Falkenstrasse der Realität mittlerweile offenen Auges entgegentreten.»
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Nun noch eines, besonders auch für die Euro-Turbos und Bundesberner Brüssel-Sehnsüchteler: Ökonomen wie Thomas Fuster lesen – aufhören, in Richtung EU zu schleichen!