In der NZZ vom 12. Juli 2019 schreibt der Unternehmer und emeritierte Professor für Finanzmarktökonomie an der Universität Zürich Martin Janssen einen bemerkenswerten Kommentar zur Bedeutung des vorliegenden Entwurfes für ein EU-Rahmenabkommen:
Es überrascht, dass mittelgrosse und kleinere exportorientierte Firmen mehrheitlich bereit sein sollen, die politischen Erfolgsfaktoren unseres Wohlstands über Bord zu werfen.
Laut Economiesuisse sagt die Schweizer Wirtschaft deutlich Ja zum Rahmenabkommen. Der Dachverband der Wirtschaft stützt sich dabei auf eine repräsentative Umfrage des Forschungsinstituts GFS Bern. Beim Rahmenabkommen mit der EU geht es im Wesentlichen um die Frage, ob die Schweiz den Gesetzgebungsprozess im Wirtschafts- und im Sozial-bereich, soweit dieser den Binnenmarkt der EU betrifft (also fast überall), weiterhin selbständig steuert oder sich den Gesetzen der EU, dem Europäischen Gerichtshof und einem EU-Sanktionssystem unterstellt.
Stimmbürger würden ausgehebelt
Dass Politik und Verwaltung dem Rahmenabkommen zustimmen, ist zu erwarten. Auf diesem Weg können die Stimmbürger in vielen Bereichen faktisch ausgehebelt und die Steuern weiter erhöht werden: der Traum vieler Beamter und Politiker. Und dass Lieferanten europäischer Gemein-wesen oder Vertreter von Grossbanken und Pharma, wo entweder der Marktzutritt oder die Preise oder beides (und damit implizit auch die Bonuszahlungen) vom Staat garantiert werden, dem Abkommen mehr-heitlich zustimmen, erstaunt ebenfalls nicht.
Es überrascht hingegen, dass mittelgrosse und kleinere exportorientierte Firmen mehrheitlich bereit sein sollen, die politischen Erfolgsfaktoren unseres Wohlstands und damit eine jahrhundertealte, gewachsene Tradition über Bord zu werfen, um dem Rahmenabkommen zuzustimmen und die bilateralen Abkommen nicht zu gefährden. Ich halte diese Bereitschaft gerade aus ökonomischer Sicht für falsch und kurzsichtig.
Erstens kann man von bilateralen Abkommen nur dann sprechen, wenn zwei Parteien am Tisch sitzen und etwas auf Augenhöhe miteinander aushandeln. Wenn de facto nur eine Partei «verhandelt» und die andere das «Verhandlungsresultat» unverändert übernimmt, muss man von einem Diktat sprechen. Die verweigerte Anerkennung der Börsenäquivalenz gehört hier zum Verhandlungsstil.
Zweitens: Nationaler und internationaler Handel kommen nur dann zustande, wenn die handelnden Parteien unterschiedlich sind und sich differenzieren können. Die Schweiz kann ihre Spitzenposition gegenüber den erfolgreichen Ländern nur dann behaupten und am internationalen Wachstum teilnehmen, wenn wir Spezialisierung und weltweite Arbeit-steilung Schweiz-spezifisch laufend vertiefen. Coco Chanel charakterisierte diese (und andere) Wettbewerbssituationen treffend: «In order to be irreplaceable, one must always be different.» Es wäre mittel- und langfristig ein strategischer Fehler höchster Ordnung, sich den Gesetzen und Ge-richten eines fremden Wirtschaftsraumes zu unterstellen, der erst noch politisch und wirtschaftlich unstabil ist.
Anders sein
Um anders sein zu können und andere Güter und Dienstleistungen als andere anbieten zu können, muss vieles stimmen. Spezialisierung und Aufbau internationaler Handelsbeziehungen dauern Jahre, oft Jahrzehnte. Solche Anstrengungen werden nur unternommen, wenn die Rahmen-bedingungen stimmen und stabil sind beziehungsweise mit tiefen Risiken an die Veränderungen der Umwelt angepasst werden können. Langfristiger Handelserfolg braucht Flexibilität und Ideenreichtum; auch in der Politik. Die EU will etwas anderes: gleich lange Spiesse für alle, um lästige Konkurrenten auf ihren In- und Auslandsmärkten WTO-konform gleichzuschalten.
Es gibt für die Schweiz keinen wirtschaftlichen Grund, ihre bewährten Institutionen zu schleifen und gleichzeitig ihre Chancen zu verbauen, sich gegenüber ausländischen Konkurrenten differenzieren zu können; auch nicht wegen eines vorübergehenden Verlusts von ein paar Prozenten Volkseinkommen.
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