Niklaus von Flüe nur etwas für Historiker? Die Feierlichkeiten in Flüeli-Ranft haben gezeigt, dass dies für viele Schweizer nicht so ist. Und dass bis anhin eher uninteressierte Schweizer gerne mal genau hinschauen sollten bei diesem Mann.
Wir fassen die Reden des Feiertags von Peter Keller, Vitus Huonder, Christoph Blocher und Guy Parmelin für Sie zusammen:
Der Historiker und Nidwaldner Nationalrat Peter Keller machte eine unterhaltsame Rückblende in Niklaus von Flües Geschichte(n).
Niklaus von Flüe kommt als «Neo-Pilger» (er hatte bei seiner Frau diese Pilgerreise erbettelt) nur bis nach Liestal, dort wird er von einem Himmelsstrahl getroffen, bis er «im Morgengrauen wegschleicht, direkten Schrittes zurück in seine Heimat». Er versteckt er sich auf einer Alp im Melchtal «in einem dichten Dornengestrüpp». Nach acht Tagen finden ihn ein paar Jäger. «Im 21. Jahrhundert würde so einer in den Mühlen des Sozialstaates enden, ein Fall für die KESB…»
Von Flüe beginnt seine Zeit als Eremit, in der er ohne zu Essen auskommt. Es war geschichtlich gesehen «ein fulminantes Jahrhundert». Die Eidgenossenschaft erobert gerade den Aargau, das ursprüngliche Kernland der Habsburger. Bern erobert Murten und Grandson. Die Burgunder halten dagegen – erfolglos. «Die Schweizer Truppen zerlegen die Burgunder in drei Kriegen und zerstören, quasi en passant, eine europäische Grossmacht.»
Die Stadt–Land-Spannungen danach werden im Stanser Verkommnis beigelegt, dies aber nur ganz knapp vor Verhandlungsabbruch (und vielleicht einem Bürgerkrieg). Denn erst, nachdem sich in der Nacht Heini Amgrund, Pfarrer von Stans, in den Ranft aufmacht, bei Niklaus von Flüe Rat holt und mit dessen Weisheiten im Gepäck nochmals ein Zusammensitzen der schon aufbrechenden Unterhändler erreicht, kommt eine Einigung zustande. Durch den Rat des von Flüe bekräftigt man den Landfrieden und verpflichtet sich, keine fremden Untertanen aufzuwiegeln.
Bischof Vitus Huonder hielt ein langes Referat aus Sicht von Bruder Klaus’ Zeitzeugen, unterteilt in sechs Charakteristika: Bruder Klaus der Visionär, Bruder Klaus der Mann des Gebetes, Bruder Klaus der Asket, Bruder Klaus der Mystiker, Bruder Klaus der Lehrer des Glaubens, Bruder Klaus der Bote des Friedens.
Ex-Bundesrat und AUNS-Mitbegründer Christoph Blocher hinterfragte anfangs seiner Rede die Inkonsequenz des Gesamtbundesrates bezüglich solcher Feiern. «Durch Jubiläumsfeiern, die an die Freiheit, Unabhängigkeit und die Neutralität unseres Landes erinnern, will sich der Bundesrat nicht in seiner Arbeit stören lassen. Auch nicht von Bruder Klaus, dem Schutzpatron der Nichteinmischung und der Bescheidenheit.» Hingegen habe der Bundesrat einer überzeugten EU-Beitrittsbefürworterin (Christa Markwalder) versprochen, «dass der Anlass des 40-jährigen Jubiläums der Ratifikation der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) … gebührend und öffentlichkeitswirksam begangen wird.»
Das Schöne an der Schweiz sei aber, dass dann eben Bürgerinnen und Bürger den Weg zu einer würdigenden Feier weisen. So der Obwaldner Verein «Die Schweiz mit Bruder Klaus» mit Kantonsrätin Monika Rüegger an der Spitze. Blocher dankte dann auch Bundesrat Parmelin und den Vertretungen der Kantonsregierungen für ihre Anwesenheit.
Blocher beleuchtete an der 600-Jahr-Feier vor allem die Führungsqualitäten von Bruder Klaus, man würde ihm heute auch «Manager-Coach» sagen. Blocher zitierte Kern-Aussagen von Bruder Klaus, begleitet von der Bemerkung, dass es nicht so sehr um genauen Wortlaut und Datierung gehe, sondern darum, was in der Jahrhunderten daraus geworden ist, «was verinnerlicht wurde und wird.»
«Macht den Zaun nicht zu weit!»
«Mischt Euch nicht in fremde Händel!»
«Beladet euch nicht mit fremden Angelegenheiten!»
«Wenn ihr in euren Grenzen bleibt, so kann euch niemand überwinden, sondern ihr werdet euern Feinden zu jeder Zeit überlegen und Sieger sein. Wenn ihr aber, von Habsucht und Herrschsucht verführt, euer Regiment nach aussen zu verbreiten anfanget, wird eure Kraft nicht lange währen.»
Daraus lasse sich ableiten, dass die Schweiz aussenpolitisch stillesitzen und neutral bleiben solle, auch wenn das abstrakte Wort Neutralität damals noch nicht auf dem Tisch war. Immer, wenn die Schweizer diese Maximen beherzten, sei es gut gekommen. Wenn nicht, wenn sie Grossmachtgelüste hegten, Partei ergriffen oder fremden Mächten huldigten, hatten sie Misserfolg. So u.a. in Marignano 1515, wo nach dem Fiasko «eines besseren besannen».
Die immerwährende bewaffnete Neutralität war eine der Maximen, welche den Erfolg der Schweiz innerhalt Europas wie auch weltweit begründete. Blocher zitierte aus einem Historiker-Artikel der NZZ, wo der Deutsche Samuel von Pufendorf es auf den Punkt bringt: «Kein Nachbar ist angenehmer als die Schweiz, für die es ein Grundsatz ist, ihr Eigentum zu schützen, nichts Fremdes zu erstreben und lieber zu nützen als zu schaden.»
Der Schluss von Blochers Rede steht in grossem Kontrast zu so vielen sich selbst profilierenden Politikern, Beamten und Wichtigtuern in Bundesbern oder Brüssel. Blocher schloss mit der Selbstbeschränkung von Bruder Klaus. «Bruder Klaus kannte seine Grenzen.» Und auch mit Brüchen in einer Lebensgeschichte können wir, wie Bruder Klaus, tröstliche Gewissheit haben: «Früher oder später müssen wir unseren Wagen nicht mehr selber steuern.»
Bunderat Guy Parmelin hielt seine Rede auf französisch. Mut, ein Geist der Unabhängigkeit, moralische Disziplin oder die Liebe zum Nächsten – dies seien einige der vorbildlichen Tugenden des Niklaus von Flüe, auch für heute. Die Botschaft des von Flüe sei, dass wir das Gewicht und den Wert unserer Herkunft als Schweizer wieder neu wertschätzen. Seine eigene Geschichte zu vergessen führe dazu, seine Zukunft zu schwächen. Dass die Schweiz nicht ein Ästchen im Wind sei, irgendwie nur dem Schicksal ausgesetzt, komme davon, dass sie von ihren Vätern wisse und diese ehre.
Wenn heute weiterherum Mainstream herrsche, wenn Werte verloren gehen, wenn kurzfristige Moden viele Leute blenden – auch in der Politik –, sei es besonders wichtig, sich an wichtige historische Charakter zurück zu erinnern. Gut, dass Niklaus von Flüe, dessen Standbild im Berner Bundeshaus einen promimenten Standort hat, auch auf heutige Entscheide sein Licht werfe. Vielleicht nicht direkt auf Energiestrategien, Exportindustrie-Probleme oder AHV-Diskussionen. Aber durchaus in der Aussenpolitik, im Streben nach Ausgeglichenheit, in Selbstdisziplin und Freiheit.
Egal, welchen Teil von Niklaus von Flüe man sich als Vorbild nehme: Er habe seine Gesellschaft geprägt und sich eingesetzt. In Zeiten immer grösserer Politikverdrossenheit wäre also ein Pilgergang nach Flüeli-Ranft zu empfehlen!
«Was wir heute feiern, ist historisch, philosophisch und institutionell, es betrifft die Schweiz von heute wie die von morgen. Und es hilft uns, darüber nachzudenken, wie wir unserem Vaterland heute am besten dienen können.»
Foto (Wikimedia): Niklaus von Flüe, dargestellt an der Marktgasse Rapperswil