Die Zahlen verneinen kann das SECO nicht gut, aber sie in blenderisches Licht stellen schon. Jährlich kamen seit 2002 im Schnitt 65’500 Personen in die Schweiz. Das ist etwa die Grösse Luganos. «Aber das macht ja nichts», liest man fast raus zwischen den Zeilen der Beamten. Denn es seien vor allem Hochqualifizierte gekommen, und weil die Schweiz ja zuwenige dieser hätte, sei ja eigentlich alles gut.
Grund-Tenor im Bericht ist, dass es nur ganz wenige seien, die mit der freien Einwanderung Nachteile in Kauf nehmen müssten. Die Studie stelzt dazu: «Anzeichen für allfällige negative Auswirkungen der Zuwanderung auf die Erwerbslosigkeit – sei es nun auf das Niveau insgesamt oder die relative Entwicklung der Erwerbslosenquoten von Ansässigen und Ausländer/innen– sind in der langfristigen Entwicklung ebenfalls nicht zu erkennen.» – oder viellicht doch ein wenig? «… Es darf aber dennoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Konkurrenz in einzelnen Teilarbeitsmärkten als Folge der Zuwanderung zugenommen hat und dass einzelne Bevölkerungsgruppen eine Schmälerung ihrer Beschäftigungschancen zu gewärtigen hatten.»
Gestelzt schreiben die Beamten weiter: «Zuwanderer weisen höheres Erwerbslosenrisiko auf als Einheimische», will heissen: Zuviele Zuwanderer kommen in die Schweiz, nehmen kurz einen Job an, werden dann arbeitslos und beziehen von der Arbeitslosenkasse weit mehr Geld, also sie einbezahlt haben. Besonders «gelingt» dies Zuwanderern aus Süd- und Osteuropa. Man muss nur genug unverfroren sein. Kümmerts in Bundesbern eigentlich jemanden, dass da ein Systemfehler vorliegt?
Wieviel die Bundesbern von direkter Demokratie hält, zeigt ein weiterer Abschnitt des Berichts. Wenn ein Volksentscheid einem nicht passt oder dieser etwas anstrengend wäre umzusetzen (es artet in Arbeit aus!), dann nennt man diesen vorerst mal «unklar». Man versenkt ihn und nennt dies dann «Lösung gefunden». Nachzulesen: «Nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar 2014 war die Zukunft der Personenfreizügigkeit vorübergehend unklar. Mit der Ende 2016 beschlossenen Umsetzung der Initiative wurde nun eine Lösung gefunden, die das Fortbestehen der Personenfreizügigkeit ermöglicht.»
Die Selbst-Beweihräucherung des SECO hat mehr als 100 Seiten: «15 Jahre Personenfreizügigkeit haben den Strukturwandel begünstigt»
Im 1999 lauteten die Aussagen ziemlich anders. Der Bundesrat schrieb 1999 in seiner Botschaft zu den bilateralen Verträgen, das Personenfreizügigkeits-Abkommen führe zu «keiner massiven Einwanderung». Der Bund beauftragte den Hamburger Wirtschaftsprofessor Thomas Straubhaar zu einer Studie, in der stand: «Das Einwanderungs-Potenzial (netto) dürfte weniger als 8000 EU-Angehörige pro Jahr erreichen.» Heute sagt dieser: «… Es war ganz offensichtlich eine Fehlprognose. Dazu stehe ich, und es ärgert mich selber enorm.»
Die andere Seite der Medaille: In der Schweiz wirds eng.
«20 Minuten» hat dazu den Freiburger Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger befragt («Der Bund blendet die Schattenseiten aus»). Als negative Begleiterscheinungen stellt er fest: Steigende Infrastrukturkosten, höhere Mieten, steigende Umweltbelastung. Eichenberger: «Der Bund argumentiert immer noch gleich wie vor acht Jahren, als die Diskussion um die Zuwanderung losging. Die wahren Kosten bleiben im Dunkeln.» Denn das Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre verdanke man kaum der Personenfreizügigkeit: «Es widerspiegelt höchstens den normalen technischen Fortschritt.»
Eine kleine Grafik zum Thema, falls etwa jemand der Schweiz noch immer, in Unkenntnis der Zahlen, Rosinenpickerei vorwirft. Die Grafik zeigt die ständige Wohnbevölkerung, die im Ausland geboren wurde, in den OECD-Ländern per 2013, in Prozent (Quelle OECD) – also der Anteil Ausländer in einem Land. Das Resultat nennt sich Dichtestress. Es ist abzulesen in einer Prozentzahl. Und live zu erleben jeden Tag auf Bahnperrons, Autobahnen, im Wartezimmer der Personalabteilungen. Oder des RAV.