Nicht immer, aber immer öfter stehen aussenpolitische Themen auf den Traktandenlisten der eidgenössischen Räte. Je schiefer der «Segen» zwischen Bern, der EU und dem «Rest der Welt», hängt, desto drängender und zahlreicher werden die Fragen, welche National- und Ständeratsmitglieder dem Bundesrat unterbreiten.
In der Herbstsession 2016 fiel auf, dass seit den Nationalratswahlen vor Jahresfrist das gestärkte bürgerliche Lager durchaus eine eigenständige Politik im aussenpolitischen Bereich formulieren kann, und die braucht sich keineswegs mit den Vorstellungen des Bundesrats zu decken.
Das war zum Beispiel der Fall beim neuen Ausländer- und Integrationsgesetz. Der Bundesrat wollte einen Rechtsanspruch auf die Niederlassungsbewilligung (C-Ausweis) einführen für Personen, die integriert sind und zehn Jahre in der Schweiz gelebt haben.
Wie zuvor schon der Ständerat hat das auch der National nun abgelehnt. Die klare Mehrheit war gegen einen Automatismus.
Eine Verschärfung bei Niederlassungen beschloss der Rat für Personen, die nicht bereit sind, sich in der Schweiz zu integrieren. Als integriert gilt, wer die öffentliche Sicherheit und Ordnung beachtet, die Werte der Bundesverfassung respektiert, am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung teilnimmt und Sprachkompetenzen hat. Diese Kriterien sollen im neuen Ausländer- und Integrationsgesetz verankert werden.
Widerstand gegen Sozialcharta
Die Schweiz soll die Europäische Sozialcharta nicht ratifizieren. Der Nationalrat beauftragte mit einer Motion den Bundesrat, auf einen solchen Schritt zu verzichten. Aussenminister Didier Burkhalter sagte zwar, der Bundesrat könne die europäische Sozialcharta erst ratifizieren, wenn das Parlament diese genehmigt habe. Solange das nicht der Fall sei, stehe eine Ratifikation doch gar nicht zur Diskussion.
Trotzdem entschied der Nationalrat mit 107 zu 80 Stimmen bei 6 Enthaltungen, die Motion von Thomas de Courten (SVP/BL) erheblich zu erklären. So brauche der Bundesrat eine Ratifizierung der Sozialcharta gar nicht erst anzustreben. De Courtens Argumentation überzeugte: «Die soziale Gerechtigkeit wird hierzulande weit konsequenter umgesetzt als im europäischen Umland. Wenn etwas ohnehin gilt, wieso muss man dies dann zusätzlich in einem völkerrechtlichen Vertrag verankern? Unzählige Gutachten, Vernehmlassungen, Verwaltungsberichte und Zusatzberichte zur Sozialcharta sowie viele Parlamentsdebatten mit internen und externen Experten haben klar festgestellt, dass eine Ratifizierung dieser Sozialcharta nicht sinnvoll ist, weil sie Verpflichtungen enthält, die mit dem föderalistischen Staatsaufbau der Schweiz, der Aufgabenteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden, nicht vereinbar sind.»
Zusammenarbeit mit Eritrea?
Aufgrund einer Motion der FDP-Liberale-Fraktion hat der Nationalrat mit 123 zu 62 Stimmen den Bundesrat beauftragt, Verhandlungen über eine verbesserte Entwicklungszusammenarbeit mit Eritrea aufzunehmen. Die FDP-Fraktion möchte dort Entwicklungsprojekte aufgleisen und diese an ein Rückübernahmeabkommen für Flüchtlinge koppeln. Aussenminister Didier Burkhalter wehrte sich vergeblich: Verhandlungen aufnehmen könne der Bundesrat nicht, Eritrea sei nicht bereit dazu.
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) hatte ihre Präsenz in Eritrea wegen Schwierigkeiten mit den Behörden schon 2006 beendet. Die Projekte konnten nicht unabhängig und dem schweizerischen Standard entsprechend umgesetzt werden.
Eritrea verwehrt derzeit den meisten internationalen Organisationen den Zugang und macht es faktisch unmöglich, die wirklichen Verhältnisse zu analysieren. Die Berichte von ausgewanderten Eritreern gelten häufig als verzerrt, da ein Interesse besteht, die Lage schlimmer darzustellen, als sie wirklich ist, um so ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz zu erwirken.
Migration übers Mittelmeer bekämpfen
Der Bundesrat soll sich für die Schaffung einer entmilitarisierten Zone an der libyschen Küste einsetzen. So will der Nationalrat im Sinne einer mit 130 zu 37 Stimmen bei 27 Enthaltungen überwiesenen Motion der SVP-Fraktion das Schlepperwesen bekämpfen und die Migrationsströme über das Mittelmeer nach Europa unterbinden. Unterstützung fand das Anliegen in allen Fraktionen.
Der Bundesrat war gegen die Motion, weil eine entmilitarisierte Zone unrealistisch sei. Dies bedürfe entweder der Zustimmung Libyens oder eines Beschlusses des UNO-Sicherheitsrates, erklärte Aussenminister Didier Burkhalter. Zudem müssten Soldaten nach Libyen geschickt werden, um die Zone zu schützen. Burkhalter bezweifelte, dass dies politisch gewünscht sei. Es sei auch unwahrscheinlich, dass die Flüchtlinge in dieser Zone bleiben würden. Man könne sie aber nicht gegen ihren Willen dort festhalten.
Aktiver Tessiner Volksvertreter
Bei der Behandlung aussenpolitischer Vorstösse im Nationalrat fiel ein besonders aktiver Tessiner CVP-Volksvertreter auf: Marco Romano. Zum Beispiel mit einer Motion, terroristisch motivierte Reisende sollten im Schengener Informationssystem verdeckt registriert werden können. Der Nationalrat hat den Vorstoss mit 149 zu 39 Stimmen überwiesen.
Eine weitere, mit 108 zu 79 Stimmen unterstützte Motion von Nationalrat Romano verlangt, dass Doppelbürgern, die nachweislich freiwillig für eine fremde Armee oder eine «armeeähnliche, ideologisch motivierte Gruppierung» gekämpft haben, der schweizerische Pass entzogen wird. Damit sollen Dschihadisten nicht in die Schweiz zurückkehren können. Der Bundesrat lehnte die Motion ab: Ein genereller Entzug des Bürgerrechts wäre nicht verhältnismässig, sagte Justizministerin Sommaruga.
Ausserdem hat der Nationalrat mit einer Motion der Luzerner CVP-Vertreterin Ida Glanzmann den Bundesrat beauftragt, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, um Ausreisesperren für Dschihad-Touristen zu ermöglichen. Sommaruga blieb aber skeptisch. Ausreisesperren seien schwere Grundrechtseingriffe, die erst zu ergreifen seien, wenn andere Massnahmen nicht zum erwünschten Ziel führten, meinte sie.
Wer aus Staaten ausserhalb der EU und der EFTA in die Schweiz einwandert, soll drei bis fünf Jahre lang keine Sozialhilfe beziehen dürfen. Das verlangt eine Motion der FDP-Fraktion, die der Nationalrat mit 125 zu 64 Stimmen unterstützt hat. 2012 habe die Sozialhilfequote der Bürger von Drittstaaten knapp 12 Prozent betragen, dies bei einem gesamtschweizerischen Durchschnitt von 3,1 Prozent. Der Bundesrat warnte, dass anerkannten Flüchtlingen die Sozialhilfe nicht verweigert werden dürfe.
UNO-Sicherheitsrat ohne Schweiz!
Bestrebungen insbesondere der Bundesverwaltung, der Schweiz einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat zu «erobern», bekämpfte die SVP-Fraktion mit folgender Motion: «Der Bundesrat wird beauftragt, auf einen Beitritt der Schweiz zum UNO-Sicherheitsrat zu verzichten und einen solchen Beschluss in jedem Fall dem fakultativen Referendum zu unterstellen.»
Denn jeder Konflikt mache die Einsitznahme im UNO-Sicherheitsrat zu einem neutralitätspolitisch unmöglichen Unterfangen. Jede Stimmabgabe und eben auch jede Enthaltung in diesem Gremium sei ein politisches Statement. Wer im Sicherheitsrat sitze, könne für sich keine neutrale Position mehr in Anspruch nehmen.
Die vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) mehrfach geäusserte und durch die Aussenpolitische Kommission (APK) unterstützte Absicht, eine Mitgliedschaft anzustreben, widerspricht laut SVP-Fraktion dem jahrhundertealten Neutralitätsprinzip der Eidgenossenschaft diametral: «Der Bundesrat ignoriert in sträflicher Naivität die realpolitische Tatsache, dass die Entscheidungen des Sicherheitsrates oft spezifischen machtpolitischen Mehrheitsverhältnissen unterliegen, womit die UNO alles andere als unparteiisch ist. Da der Bundesrat den traditionellen Neutralitätsbegriff verdreht und damit letztlich ein Engagement der Schweiz im Sicherheitsrat rechtfertigt, muss das Volk über diese radikale Neuausrichtung befinden können.» Dieses SVP-Anliegen hat die Ratsmehrheit mit 104 Nein gegen 76 Ja bei 13 Enthaltungen nicht für erheblich erklärt.
Volksauftrag nicht erfüllt
Am 9. Februar 2014 haben Volk und Stände gemäss SVP-Initiative dem neuen Zuwanderungsartikel 121a in der Bundesverfassung zugestimmt. Weil die Staatspolitische Kommission (SPK) des Nationalrats keinen einzigen der zahlreichen Aufträge bei ihren gesetzgeberischen Vorarbeiten umsetzte, wollte die SVP die Vorlage an die Kommission zurückweisen, um das Gesetz gemäss Entscheid des Souveräns verfassungskonform zu gestalten.
Doch die Volksvertreter haben das Volk nicht ernst genommen. Das Kräftemessen wurde im Nationalrat vom Bündnis zwischen Freisinn, SP und «zugewandten Orten» entschieden. Die SVP konnte den Verfassungsbruch nicht verhindern und muss nun auf den Ständerat in der Wintersession hoffen. Wie sich die Ungeheuerlichkeit des Nationalrats auf den Volks(un)willen auswirken wird, bleibt abzuwarten.
Ein glaubwürdiger Beitrag zur Stärkung des Vertrauens in die direkte Demokratie war das jedenfalls nicht!