Der Ständerat hat am 8. Juni 2021 beschlossen, die Verhandlungen über den UNO-Migrationspakt zu unterbrechen. Der Ständerat will zuerst Präzisierungen, welche Folgen der UNO-Pakt auf die Schweizer Gesetzgebung und direkte Demokratie haben wird. Es ist zu begrüssen, dass der Aspekt des "Soft law" (Absichtserklärungen, angeblich nicht verbindliche Richtlinien) genau angeschaut werden soll. Die AUNS begrüsst den Entscheid des Ständerates ausdrücklich. Zwei wichtige Wortmeldungen aus der ständerätlichen Debatte zeigen den Sachverhalt auf:
Marco Chiesa, Ständerat TI, AUNS-Vorstandsmitglied:
Die Aussenpolitische Kommission des Ständerates hat an ihrer Sitzung vom 5. April einstimmig beschlossen, Ihnen zu beantragen, dass wir die Prüfung dieser Angelegenheit aussetzen. Ganz abgesehen von den einzelnen inhaltlichen Positionen zu diesem Thema, die sich sicherlich im Laufe der parlamentarischen Debatte herauskristallisieren werden, ist es sinnvoll, die Rückmeldung der Subkommission Soft Law abzuwarten, bevor man sich eingehender mit dem Thema beschäftigt.
Ich erinnere Sie daran, dass die beiden APK im ersten Quartal des vergangenen Jahres eine gemeinsame Subkommission eingesetzt haben. Diese Subkommission hat den Auftrag, eine vertiefte Analyse der Mitwirkung des Parlamentes im Bereich des Soft Law vorzunehmen und zu prüfen, ob gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, um die parlamentarischen Mitwirkungsrechte in der Aussenpolitik auch im Zusammenhang mit Soft Law zu gewährleisten. Die Subkommission Soft Law hat spezifisch den Auftrag, die rechtliche Regelung von Soft Law zu überprüfen.
Der Migrationspakt ist wahrscheinlich ein typisches Beispiel für Soft Law. Wir sind aber nicht einmal ganz sicher, wie soft er wirklich ist. Denn gewisse Elemente davon können an der Grenze zum Hard Law sein. Auf jeden Fall geht der Bundesrat in seinem Bericht vom 26. Juni 2019 davon aus, dass die Ausprägung des Gestaltungswillens eines Soft-Law-Instrumentes unter anderem ausschlaggebend für die Verbindlichkeit des Instrumentes für den betreffenden Staat sei. Dieser Gestaltungswille ist im UNO-Migrationspakt relativ ausgeprägt. Die Subkommission hat das relativ ambitionierte Ziel, den beiden APK dazu einen Lösungsansatz vorzulegen. Sie fand die Lösung zwar noch nicht, ist aber auf gutem Weg, in der ersten Hälfte 2022 einen solchen Ansatz präsentieren zu können.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der UNO-Migrationspakt völkerrechtlich gesehen grundsätzlich Soft Law ist. Wenn wir nun darüber befinden müssen, wie sich die Schweiz in Bezug auf den Pakt positionieren soll, dann wäre es sinnvoll, zuerst zu wissen, welchen Rechtsrahmen wir bei Soft Law künftig möchten.
Thomas Minder, Ständerat SH:
Der UNO-Migrationspakt hat vor zweieinhalb Jahren nicht nur eine migrationspolitische Debatte, sondern auch eine längst überfällige institutionelle Diskussion entfacht. Im Zentrum stehen das sogenannte Soft Law, also vorläufig nicht bindende Normen und Übereinkommen insbesondere im Bereich der Aussenpolitik, und die Frage der innerstaatlichen Kompetenzordnung. Nur dank dreier angenommenen Motionen aus beiden Kammern konnten wir damals den Bundesrat dazu bringen, uns ins Spiel zu bringen. Wäre es nach dem Bundesrat gegangen, hätten wir heute diese Vorlage gar nicht erst auf dem Tisch.
Um die sensible Frage der Mitwirkung des Parlamentes bei der Erzeugung und Unterzeichnung von Soft Law einmal ganz grundsätzlich zu untersuchen, haben die Aussenpolitischen Kommissionen beider Räte eine gemeinsame Subkommission zur Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law eingesetzt. Ich habe Einsitz in dieser Kommission. Wir hatten schon einige Sitzungen und Anhörungen. Das Thema ist sehr komplex, weshalb die Subkommission zusätzlich die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) beauftragt hat, zu untersuchen, ob derzeit die Mitwirkung des Schweizer Parlamentes im Bereich Soft Law zweckmässig ist. Die PVK soll zusätzlich einen internationalen Rechtsvergleich erstellen.
Sie sehen, im Hintergrund finden diverse ergebnisoffene Arbeiten statt mit dem Ziel, zu klären, wie wir zukünftig und ganz allgemein im Bereich Soft Law in der Aussenpolitik eingebunden werden sollen. Es wäre daher planlos, wenn wir mit diesem Geschäft, das alles erst ins Rollen gebracht hat, hier bereits ein Präjudiz schaffen würden. Warten wir doch erst das Resultat dieser Arbeiten ab.
Nebst den staatspolitischen Komponenten gibt es durchaus auch materielle wirtschaftspolitische Gründe, die Vorlage zu sistieren. In der aktuellen Corona-Situation besteht in der Bevölkerung eine grosse Unzufriedenheit in Sachen Migration. Hunderttausende sind in Kurzarbeit, viele fürchten um ihren Arbeitsplatz. Das Thema der älteren Arbeitnehmenden ist aktueller denn je und bringt eine grosse Spannung in die Arbeitswelt. Über 150 000 Menschen sind arbeitslos. Ich frage mich daher ernsthaft, ob es auch inhaltlich der richtige Moment ist, um diesen Pakt zu diskutieren.
Viele Inländer sind verunsichert und verstehen sehr wohl, was die UNO will und was mit Migration gemeint ist. Flüchtlingsmigration und Arbeitsmigration sind heute nicht mehr voneinander zu trennen. Vor diesem Hintergrund sollten wir hier noch nicht legiferieren. Es ist der falsche Moment, um ein derart wichtiges Thema zu behandeln, auch wenn es vordergründig nur um Soft Law geht. In diesem Sinne bin ich anderer Meinung als der Aussenminister, der in der Kommission verlauten liess, es bestehe keine Notwendigkeit, die nationale Migrationspolitik oder das Asylgesetz anzupassen. Da setze ich ein dickes Fragezeichen, denn der Pakt hat sehr wohl gewisse Hard-Law-Elemente.
Amtliches Bulletin https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=53157