Eine Präambel ist eine «feierliche Erklärung als Einleitung einer Verfassung oder eines Staatsvertrages». Genau hinschauen lohnt sich immer – besonders beim Rahmenvertrag.
Auch unsere Bundesverfassung beginnt mit einer Präambel, die wir uns immer wieder ins Bewusstsein rufen sollten, ja müssen[1]. Und jedes Behördenmitglied sollte sie auswendig kennen.
Ein Beitrag im aktuellen «Schweizer Monat» zum EU-Rahmenabkommen legt den Blick auf ein spannendes Thema: die Präambel. Dieser Beitrag ist Anlass für folgenden Überlegungen.
Eine Präambel hat grundsätzlich keine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit, sie dient aber der Auslegung einer Verfassung, eines Gesetzes oder Vertrages. Somit nimmt die Präambel eine wichtige Funktion ein.
Im EU-Recht ist die Funktion der Präambel noch zwingender. Die Präambeln, die den Rechtsakten und Richtlinien vorangestellt sind, nennen die Erwägungsgründe. Sie fordern die authentische Auslegung des Rechtsaktes, die der Normgeber – die EU-Kommission als Zentralbehörde – zwingend beachtet haben will.[2]
Der Entwurf des EU-Rahmenabkommens hat mit 406 Wörtern (offizieller Text in Französisch) eine auffällig lange Präambel – diejenige unserer Verfassung ist lediglich mit 89 Wörtern formuliert. Dieses Missverhältnis und die besondere Bedeutung der Präambeln im EU-Recht müssen hellhörig machen.
Das EU-Rahmenabkommen erlaube laut seinen Befürwortern einen technischen beziehungsweise rechtlichen Rahmen für das bilaterale Verhältnis zwischen der Schweiz und EU. Eigentlich schaffe das Abkommen grundsätzlich nichts Neues.
Die lange Präambel ist für uns Schweizer unerträglich gefühlsbetont, dramatisch, erhaben, feierlich, inbrünstig, theatralisch, übertrieben und schwülstig abgefasst. Man kann das mit dem diplomatischen Jargon begründen.
Aber trotzdem steht diese Absichtserklärung mit der propagierten, angeblichen Verbesserung von etwas Bestehendem quer. Warum dieser rhetorische Klamauk? Schliesslich wird uns hierzulande nüchtern erklärt, es gehe um die Sicherung der bilateralen Abkommen – um nicht mehr.
Man kommt ins Grübeln.
Will man uns einen «Vorvertrag für den EU-Beitritt» andrehen? Denn die Präambel eines EU-Beitrittsabkommen könnte wohl kaum dramatischer ausfallen.
Der erste Punkt der Präambel des EU-Rahmenabkommens (IN BEKRÄFTIGUNG …)[3] weist auf «gemeinsame Werte» der Vertragsparteien hin. Welches sind eigentlich diese gemeinsamen Werte?
- Die direkte Demokratie?
- Die immerwährende, bewaffnete Neutralität?
- Ein funktionierender Föderalismus von unten nach oben?
- Eine gemeinsame Geschichte?
Wohl kaum. Gerade die Geschichte zeigt, dass unsere eidgenössischen Werte – die fundamentalen Säulen unseres politischen Lebens – eine klare Abgrenzung zur Europäischen Union bedingen und kein gemeinsames Fundament begründen.
Schauen wir uns die Europakarte an und bewegen uns ab 1291 durch die Jahrhunderte – bis heute. Die Schweiz war immer von Kaiser- und Königreichen, Fürstentümern, Kirchenstaaten und politischen Blöcken umgeben.
Das Ergebnis unserer historischen Zeitreise und die im Rahmenabkommen von der EU einseitig formulierten Bedingungen etablieren auf ungenügende Weise gemeinsame Werte. Und so ist auch der sechste Punkt der Präambel des Rahmenabkommens (ENTSCHLOSSEN …)[4] nicht nachvollziehbar und glaubwürdig, welcher die Wahrung der Unabhängigkeit der Vertragsparteien sowie jener ihrer Institutionen «und – in Bezug auf die Schweiz – unter Wahrung der Grundsätze der direkten Demokratie und des Föderalismus» (zit.!) verlangt.
Wie sagt doch Goethes Dr. Faust, nachdem sich der Pudel in seinem Studierzimmer als verführerischer Mephisto (Teufel) zu erkennen gibt: «Das also war des Pudels Kern!»
Wir empfehlen Ihnen zum Thema den Beitrag «Präambel des EU-Rahmenabkommens» in der aktuellen Ausgabe des «Schweizer Monat» zu lesen: https://schweizermonat.ch/pathos-mit-gefahrenpotenzial/
[1] Präambel der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft:
Im Namen Gottes des Allmächtigen!
Das Schweizervolk und die Kantone, in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung, im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken, im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben, im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen, gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen, geben sich folgende Verfassung …
[2] https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/praeambel-46052/version-324029
[3] IN BEKRÄFTIGUNG der grossen Bedeutung, die sie den privilegierten Beziehungen beimessen und die auf ihrer Nachbarschaft, ihren gemeinsamen Werten und ihrer europäischen Identität, welche die Europäische Union, ihre Mitgliedstaaten und die Schweiz verbinden.
[4] ENTSCHLOSSEN, die Beteiligung der Schweiz am Binnenmarkt der Europäischen Union auf der Basis derselben Regeln, die für den Binnenmarkt gelten zu stärken und zu vertiefen, unter Wahrung der Unabhängigkeit der Vertragsparteien sowie jener ihrer Institutionen und – in Bezug auf die Schweiz – unter Wahrung der Grundsätze der direkten Demokratie und des Föderalismus.