Wenn unsere nationale Fernsehanstalt den «Schweizer des Jahres» kürt, ist Misstrauen angebracht. Denn das Ergebnis der Sparte «Politik» – durch eine Jury sorgfältig gelenkt – garantiert jeweils eine Demonstration gegen die Blocher-Schweiz. Und für die weltoffene Geländegängigkeit. Diesmal fiel die Wahl auf Didier Burkhalter. Noch nie seit 1848 hat ein Aussenminister die ihm verfassungsmässig aufgetragene Neutralität so schwerwiegend verletzt.
Im Frühjahr 2014 hat unsere Regierung die EU-Sanktionen im Ukraine-Konflikt übernommen. Diese wurden seither im Gleichschritt mit Brüssel oder eher nachstolpernd dauernd verschärft. Die EU will sich die Ukraine einverleiben, hat entsprechende Verträge abgeschlossen und führt gemeinsame Militärmanöver durch. Doch völkerrechtlich geniesst die seit 1945 offiziell eigenständige Ukraine kaum völlige Souveränität; sie bildete vielmehr einen Teilstaat der UdSSR, erhält von Russland bis heute subventionierte Energie und akzeptierte auf der Krim einen russischen Flottenstützpunkt.
Die neutrale Schweiz beteiligt sich am Wirtschaftskrieg der EU gegen Russland. Sie stützt sich dabei auf ein völlig verunglücktes Embargogesetz, das offensichtlich neutralitätswidrige Boykotte ermöglicht. Während unser Land als Uno-Mitglied Embargomassnahmen der Vereinten Nationen zweifellos übernehmen muss, ist dies bei der EU keineswegs der Fall. Dennoch stellt der Bundesrat die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit über hundert von der EU geächteten, meist russischen Personen unter Strafe. Viele von ihnen sind Politiker und Parlamentarier, die im Ukraine-Konflikt für russische Interessen gestimmt haben.
Es handelt sich wohlverstanden keineswegs um Verbrecher gemäss Völkerstrafrecht. Sondern einfach um Persönlichkeiten, die eine andere Gesinnung und Überzeugung haben, als es der EU passt. Meint die neutrale Schweiz wirklich, mit ihrem völkerrechtswidrigen Wirtschaftskrieg gegen Individuen am Rockzipfel der EU etwas zur Entschärfung des Konflikts beizutragen? Unser Land war ehedem in der Völkergemeinschaft hochangesehen wegen seiner neutralen Unparteilichkeit. Darum wurde die Schweiz immer wieder für gute, vermittelnde Dienste angerufen. Doch für die Rolle des Friedensstifters im Ukraine-Konflikt hat uns der «Schweizer des Jahres» definitiv aus dem Rennen genommen.
Autor: Christoph Mörgeli
Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 29.1.2015 | Bild: Screenshot Website SRF. Die AUNS bedankt sich bei der Weltwoche und beim Autor für das Abdruckrecht.