Einer meiner liebsten Aphorismen stammt vom grossen Winston Churchill, der wie folgt zitiert wird: «Erfolg ist nicht endgültig, Misserfolg ist nicht fatal; was zählt, ist der Mut weiterzumachen.»
Die Lage, in der sich die AUNS – und meine Partei – in diesem historischen Augenblick befindet, ist sicherlich nicht die eines Dauerscheiterns, aber wir kommen unbestreitbar aus einer klaren Niederlage bei der Abstimmung über die Begrenzungsinitiative. Doch selbst angesichts dieser Erfahrung können wir positive Elemente erkennen:
Erstens haben wir in einem Land, in dem die direkte Demokratie eine beherrschende Rolle spielt, die Schweizer Bürgerinnen und Bürger dazu gebracht, über ein wichtiges Thema, nämlich das der Einwanderung, zu debattieren und dann darüber abzustimmen. Jedes souveräne Land, wie das unsrige, sollte die Einwanderung selbstständig steuern können. Die Schweiz hingegen hat beschlossen, auf diese Option zu verzichten und sie weiter an die EU zu delegieren. Ich kann diese Wahl nur bedauern, zumal auf die negativen Auswirkungen der Freizügigkeit, wie Überbevölkerung, Druck ausländischer Arbeitskraft auf die Schweizer Arbeitnehmer, Lohndumping und Austauscheffekt, keine Antwort gefunden wurde. Diese Erscheinungen sind in meinem Kanton Tessin leider sehr gut bekannt.
Der zweite Grund ist, dass die Initiative, wenn auch nur in dreieinhalb Kantonen, in einigen besonders sensiblen Regionen erfolgreich war. Im Tessin, einem Kanton, der schon immer unter seiner Nähe zum benachbarten Italien gelitten hat, hat die Initiative mehr als 53 % an Zustimmung erhalten. Vielleicht könnte man daraus ableiten, dass der Rest des Landes noch nicht den Schaden erlitten hat, den die Freizügigkeit und die unkontrollierte Einwanderung verursacht haben, um Entscheidungen zu treffen – möglicherweise harte und schwierige wie die Kündigung eines Freizügigkeitsabkommens mit der EU –, die sich tatsächlich als weitsichtig für das Wohlergehen und den Wohlstand unseres Landes erwiesen hätten. Die Bestätigung dafür erfuhren wir im Tessin, als Gegner der Initiative zur Begrenzung der Einwanderung uns des Populismus bezichtigten, nachdem wir für die gegenwärtige Wirtschaftskrise vorausgesagt hatten, dass die Tessiner Arbeitnehmer als erste die Folgen tragen würden. Die kürzlich von den Statistikämtern veröffentlichten Daten sind mehr als deutlich: 500 weitere Arbeitslose im Tessin und bis zu 2‘000 neue Grenzgänger aus dem benachbarten Italien, was die Zahl auf den absoluten Rekord von 70‘000 bringt!
Das dritte Element ist, dass Covid-19 früher oder später verschwinden wird, und damit werden wir endlich wieder ohne dieses Damoklesschwert, das jetzt über unseren Köpfen schwebt, Politik machen können. Es ist unbestreitbar, dass diese Krise der Initiative geschadet hat, obwohl man anfangs dachte, dass sie einen Vorteil bringen könnte.
Der vierte positive Punkt ist, dass das Rahmenabkommen dank der Begrenzungsinitiative ein gutes Jahr lang in der Schublade des Bundesrates geblieben ist. Dieses Warten machte Brüssel noch nervöser und rückte die Möglichkeiten für Neuverhandlungen tatsächlich in noch grössere Ferne. Ich hoffe sehr, dass das Parlament – wenn es sich dazu entschliessen sollte – für ein ultraschlechtes Rahmenabkommen mit der EU stimmen wird, denn dann hätten wir eine bessere Chance, beim Volk zu punkten. Je schlechter das Abkommen, desto besser sind unsere Chancen zu gewinnen. Und wenn das Parlament dann den Anstand hätte, das Abkommen abzulehnen, hätten wir eine Schlacht weniger zu schlagen.
Der letzte positive Aspekt ist, dass mehr als 1,2 Millionen Menschen unsere Initiative unterstützt haben. Es gibt viele Menschen in unserem Land, denen die Souveränität und Unabhängigkeit der Schweiz am Herzen liegen. Wir müssen auf diese Menschen einwirken, sie näher an die AUNS heranführen und dafür sorgen, dass sie ihrerseits andere Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen können, unsere Prinzipien zu unterstützen.
Dank der Stärke der Menschen, die für ihre Zukunft und die ihrer Kinder kämpfen, können wir gewinnen. Was den obigen Aphorismus von Churchill betrifft, sind wir glücklicherweise in der Situation, dass wir nur wenige Misserfolge hinter uns haben. Wie Churchill sagte, ist keine Niederlage tödlich, und die Niederlage vom 27. September ist keine Ausnahme von dieser Regel. Sollte das Rahmenabkommen aufgegeben oder in einer Abstimmung abgelehnt werden, wird unser Sieg nicht endgültig sein. Was auch immer geschieht, nur der Mut der AUNS, den Kampf für eine unabhängige, neutrale und souveräne Schweiz fortzusetzen, wird von Bedeutung sein.
Nationalrat Piero Marchesi, Vizepräsident der AUNS, piero.marchesi@parl.ch