Welche Auswirkungen hat die Zuwanderung auf die Schweiz? Die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS) mahnt seit der Einführung der EU-Personenfreizügigkeit vor Gefahren. Bis heute werden Mahner und Kritiker der masslosen Zuwanderung als isolationistische Rechtspopulisten abgetan. Was, wenn doch Gefahren drohen. Der folgende Beitrag von Nicole Rütti in der NZZ vom 27. August 2018 geht der Frage nach.
Die Zuwanderung kommt die Schweiz auf lange Sicht teuer zu stehen
von Nicole Rütti
Es sind nicht mehr nur Vertreter der nationalistischen Rechten, die die Aushöhlung der Sozialwerke infolge der ungebremsten Einwanderung beklagen. Der Schriftsteller Uwe Tellkamp provozierte jüngst mit der Aussage, dass 95% der Flüchtlinge und Zuwanderer nach Deutschland kämen, um in das Sozialsystem einzuwandern. Auch in der Schweiz war der «Sozialhilfe-Tourismus» eines der meistdiskutierten Themen in der Abstimmungskampagne der SVP für ihre Masseneinwanderungsinitiative. Ökonomen wie Hans-Werner Sinnmahnen seit längerer Zeit, dass die drei von der EU verfolgten Ziele «Personenfreizügigkeit», «Sozialstaatsprinzip» und «Inklusion ausländischer Migranten in den Sozialstaat» nicht miteinander vereinbar seien. Grundsätzlich ziehe ein von hohen progressiven Steuern finanzierter grosszügiger Sozialstaat eher geringqualifizierte und geringverdienende Einwanderer an. Die Hochqualifizierten schrecke er ab. Diese bevorzugten Länder, die weniger stark umverteilten.
Inwiefern Einwanderer tatsächlich zu den Nettobezügern von Sozialbeiträgen und anderen staatlichen Leistungen zählen, ist jedoch unklar. Je nach Land und Berechnungsmethode kommen Forscher hierbei zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während die Ökonomen Christian Dustmann und Tommaso Frattini (2014) in einer ökonometrischen Untersuchung für Grossbritannien einen positiven fiskalischen Effekt (vor allem für Einwanderer aus der EU) feststellten, gelangten andere Forschungsstudien bereits vor der Flüchtlingskrise für Deutschland teilweise zu hohen Nettokosten.
Mitfinanzierung der AHV
Je nach Blickwinkel gerät man auch für die Schweiz zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Unbestritten ist, dass die ausländischen Staatsangehörigen kurzfristig zur Finanzierung und Sicherung der ersten Säule beitragen. Die aus der EU eingewanderten Personen beteiligten sich anteilsmässig mit 25,8% an der Finanzierung von AHV und IV und bezogen 2017 bloss 15,4% der Gesamtsumme der individuellen Leistungen. Anders fällt allerdings die längerfristige Bilanz aus: Nicht einberechnet sind hierbei nämlich die späteren Renten, die auch den ausländischen Beitragszahlern zustehen. Diese dürften die AHV in 30 bis 40 Jahren entsprechend belasten.
Hinzu kommt eine überdurchschnittlich hohe Quote beim Bezug von Arbeitslosentaggeldern: Für Personen aus Drittstaaten ist sie beinahe viermal so hoch, für EU-Zugewanderte mehr als doppelt so hoch wie bei den Schweizern. Schweizer steuern 70,4% der Arbeitslosenversicherungsbeiträge bei, beziehen aber nur 55% der ausgerichteten Arbeitslosenleistungen. Sie gehören damit klar zu den Nettozahlern. Ausserdem ist das Risiko, auf Sozialhilfe angewiesen zu sein, bei den Ausländern deutlich höher.
Eine jüngst aktualisierte Studie gelangt gleichwohl zum Schluss, dass die Fiskalbilanz – Differenz zwischen Steuern und Sozialbeiträgen, welche die Zugewanderten einzahlen, und staatlichen Leistungen und Sozialleistungen, die sie beziehen – für die Schweiz auf kurze Sicht positiv ausfällt. Die Zugewanderten zahlen mehr ein, als sie beziehen – und zwar monatlich 729 Fr. pro Haushalt. Langfristig ist die Fiskalbilanz jedoch negativ. Pro Haushalt resultiert ein monatliches Minus von 405 Fr. Hauptursache ist, dass die zugewanderte Bevölkerung altert (ebenso wie die einheimische). Belastet wird die Bilanz ausserdem dadurch, dass gut ausgebildete Zuwanderer tendenziell weniger lange in der Schweiz bleiben als weniger gut ausgebildete. Allerdings sind die indirekten Auswirkungen der Migration (auf Wirtschaft, Bildung, Wohnen oder Gesundheitswesen) schwierig zu beziffern. So dürfte die Zunahme an qualifizierten Fachkräften die Innovation und Ertragskraft der Unternehmen stärken. Gleichzeitig sinkt aber aufgrund des reichlich vorhandenen Angebots an Arbeitskräften der Anreiz der Firmen, die Arbeit produktiver zu gestalten. Im Gesundheitswesen trägt die Einwanderung dazu bei, die Löhne tief zu halten und Ausbildungskosten einzusparen. Im Gegenzug treibt das zusätzliche Angebot an Dienstleistungen im Gesundheitssektor die Kosten in die Höhe. Einfache Milchbüchleinrechnungen helfen hierbei nicht weiter.
Überschüsse sparen
Gefordert wären konstruktive Lösungen. So müssten die durch die Einwanderung derzeit resultierenden Überschüsse für die Zukunft gespart werden und nicht als Vorwand für einen Aufschub der dringend erforderlichen AHV-Reform missbraucht werden. Ausserdem zeichnet sich ab, dass die hiesigen Sozialwerke im Zuge der von der EU angestrebten Koordinierung der nationalen Sozialversicherungssysteme zusätzlich belastet werden dürften. Laut Reformvorschlag der EU-Kommission soll in Zukunft nämlich nicht wie bisher der Wohnstaat, sondern der Beschäftigungsstaat für arbeitslose Grenzgänger aufkommen. Auf die Schweiz mit ihren zahlreichen Grenzgängern könnten dabei Kosten im höheren dreistelligen Millionenbereich zukommen.
Das Argument der Befürworter dieser Massnahmen, dass jener Staat Arbeitslosenunterstützung leisten solle, der zuvor Beiträge kassiert habe, mag zwar zutreffen. Allerdings bleibt unberücksichtigt, dass der Beschäftigungsstaat bisher immerhin für einen Teil der Kosten aufkam bzw. die Arbeitslosentaggelder für die ersten drei bis fünf Monate (je nach Beschäftigungsdauer) bezahlen musste. Solche Vorstösse Brüssels helfen jedenfalls nicht, der Sozialmigration entgegenzuwirken. Im Gegenteil könnte dadurch die Sogwirkung auf Grenzgänger, in der Schweiz zu arbeiten und gegebenenfalls Arbeitslosengelder zu kassieren, nochmals zunehmen. Die verbreitete Kritik am Sozialhilfe-Tourismus wird jedenfalls nicht so rasch verstummen, selbst wenn die Zahlen für die Schweiz zumindest für die kurze Sicht eine andere Sprache sprechen.
Quelle: https://www.nzz.ch/wirtschaft/zuwanderung-auf-lange-sicht-teuer-ld.1414701