Kaum ein Thema beschäftigt momentan die Schweizer Politik mehr als die Begrenzungsinitiative. Da eignet sich schon mal eine andere Perspektive auf die Debatte: Der Schweizer Nicolas Szita, Professor in London, über Vergangenheit und Zukunft der Schweiz.
Nicolas Szita ist Professor in London und Kenner der britischen Politik. Auch in der Schweiz ist er politisch engagiert. Er hat mit der Redaktion «SVP news» der SVP Kanton Luzern gesprochen.
Von aussen betrachtet: Wie geht es der Schweiz? Von was wird sie bedroht?
Die nach wie vor hohe Lebensqualität und der hohe Wohlstand fällt einem jedes Mal auf, wenn man ins Land einreist. Ebenso fällt die starke Zunahme des Verkehrs und die flächendeckende Überbauung von Grünflächen auf. Die Schweiz bedroht ein Mangel an objektiver Information, zu Themen aus dem In- und Ausland. Auch weiss ich nicht, ob verstanden wird, wie wichtig für uns alle die Selbstbestimmung ist.
Die Schweizer Politik richtet ihren Fixpunkt auf die Begrenzungsinitiative. Ist sie tatsächlich notwendig?
Die Initiative wäre bei einer korrekten Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative nicht notwendig; jetzt ist sie es, denn es fehlt noch immer eine nachhaltige Migrationsstrategie. Einige Probleme, wie Verkehr und Zubetonierung, habe ich schon genannt; der Jobverlust der Ü50 wäre ein weiteres. Und eben der Erhalt der Selbstbestimmung und Souveränität. Zu sagen – wie es unsere Gegner tun – die Zuwanderung regle sich mit der Konjunktur automatisch, ist Augenwischerei. Selbst bei einer Rezession in der Schweiz wird der Zuwanderungsdruck bestehen bleiben; denn aller Voraussicht nach wird es den EU-Ländern noch schlechter gehen, und die Schweiz daher weiterhin attraktiv bleiben. Schon nur wegen den Sozialwerken, welche hier besser als anderswo sind.
Die Massnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 haben die weltweite Wirtschaft durchgerüttelt. Staaten tendieren wieder zur Regionalisierung. Ist das ein Zukunftsmodell oder Handeln in der Krise?
Ich will hier nicht den Gegnern der Globalisierung das Wort reden. Die Globalisierung hatte auch Gutes. Natürlich sieht es so aus, als ob die nächsten Jahre eine Bewegung weg von der Globalisierung bringen werden; doch bei Zukunftsprognosen soll man sich hüten. Die wirkliche Frage lautet, was ist das Zukunfts- oder Erfolgsmodell für die Schweiz. Die Schweizer Geschichte zeigt ganz klar, dass die direkte Demokratie und der Mut zum eigenen Weg sowohl in schwersten Krisen wie auch in Zeiten der globalen Expansion richtig waren. Das Zukunftsmodell für die Schweiz lautet daher: weltoffen, aber selbstbestimmt.
Ist in unserer multipolaren Welt eigenständiges Handeln eines kleinen Staates noch möglich?
Die Frage entspricht unserem Zeitgeist, ist aber falsch gestellt. Falls sie den Menschen einen Hort der Sicherheit und Freiheit bieten wollen, dann ist eigenständiges Handeln eines Staates ein Muss. Die Frage muss daher lauten: wie erreicht oder bewahrt man so viel Eigenständigkeit wie möglich als kleiner Staat in einer multi-polaren Welt? Mögliche Szenarien aufzuzeigen, wäre Aufgabe des Bundesrates. Es ist aber leichter, den Stimmbürgern zu sagen, es sei nicht möglich. Kurzfristig muss man vielleicht Abstriche machen, langfristig hat es sich aber immer ausbezahlt, eigenständig zu bleiben. Fragen Sie doch mal den Bundesrat, ob es auf der ganzen Welt irgendwo jemals einen Staat gab, welcher langfristig an Wohlstand verlor, weil er sich mehr Selbstbestimmung und Freiheit erkämpft hatte. Ich jedenfalls kenne keinen.
In den Medien wurde viel über die negativen Folgen des Brexits berichtet. Sie selbst sind in London beruflich tätig. Wie beurteilen Sie den Brexit?
Das ist jetzt genau so ein Beispiel von fehlender objektiver Information, wie ich es vorhin erwähnt habe. Man spricht von negativen Folgen von etwas, das noch gar nicht stattgefunden hat. Wir werden doch erst in den nächsten Jahren sehen, welche Folgen der Austritt haben wird! Was wir hingegen jetzt schon sehen, ist die Unfähigkeit der EU, einen Austritt zu regeln. Einen Austrittsartikel wie ihn die EU kennt, gibt es kein zweites Mal auf der Welt. Und der Artikel ist ein fertiger Murks. Kein Wunder wurden die Austrittsverhandlungen dann auch zum Murks. Nur sagt dies leider niemand. Weiter: das höchste Gericht Nordirlands hat 2019 festgehalten, dass ein sogenannt «harter Brexit» («No Deal») das Friedensabkommen in Nordirland (Karfreitagsabkommen) nicht verletze. Auch dies schreibt niemand. Stattdessen plappert man der EU nach, welche den Frieden in Nordirland für ihre Zwecke missbrauchte. Der Brexit zeigt eindeutig, dass man von der EU Abstand halten muss.
Was können die Briten von den Schweizer lernen und was die Schweizer von den Briten?
Es gibt in der Tat sehr viele Gemeinsamkeiten. Im Moment könnten wir von den Briten lernen, was uns Frau Kate Hoey, Baronin im britischen Oberhaus und Brexit-Befürworterin, an der AUNS Mitgliederversammlung mit auf den Weg gab: Personenfreizügigkeit kann nicht funktionieren, und wird nie funktionieren für die Normalbürger. Die Briten könnten eventuell von uns Genauigkeit und Effizienz in Industrie und Produktion lernen.
In einem anderen Interview haben Sie gesagt, die Schweiz solle sich wieder auf ihre früheren Stärken besinnen. Können Sie ein Beispiel nennen?
Ich könnte die EWR-Abstimmung erwähnen. Die Schweizerinnen und Schweizer traten für ihre Souveränität ein. Man liess sich von pessimistischen Wirtschaftsprognosen und Schreckensszenarien (Ängste!) nicht irremachen. Wir haben den Mut bewiesen, zu uns selbst zu stehen.
Zum Schluss: Wie werden Sie bei der Begrenzungsinitiative abstimmen und weshalb?
Ich werde ein Ja einlegen. Nur massvolle und kontrollierte Zuwanderung ist fair – fair gegenüber den Menschen, die schon im Land sind, und fair denjenigen gegenüber, welche in Zukunft bei uns aufgenommen werden sollen. Unkontrollierte Zuwanderung ist unverantwortlich gegenüber allen, den Einheimischen und den Zuwanderern. Und manchmal ist es auch rein wirtschaftlich motivierte Gier. Geben wir uns keinen Illusionen hin: wir hatten in den letzten Jahren Wirtschaftswachstum in der Quantität, der Menge, und nicht in der Qualität oder Produktivität. Eine solche Entwicklung bringt langfristig Kosten, aber nicht Wohlstand.