Grossbritanninen hat am 29. März 2017 der EU in Form eines Schreibens offiziell den Austritt aus der EU mitgeteilt. Die Berichterstattung in Schweizer und Deutschen Medien fällt auffallend einseitig gegen den Brexit-Volksentscheid aus: Der Brexit werde für Grossbritannien schmerzhafte Folgen haben und die EU-Granden würden in den Austrittsverhandlungen den Ton angeben. Die Ursachen für den EU-Austritt werden von der Diskussion praktisch ausgeschlossen. Gründe werden wie so oft bei «(rechts-) populistischen Politikern» gesucht, kaum bei Brüsseler Technokraten. Bereits vor der Brexit-Volksabstimmung warnten Experten, die britische Wirtschaft werde auf Talfahrt schwenken. Bis heute ist das Gegenteil eingetroffen.
Interessant ist der Kommentar von NZZ-Wirtschaftsredaktor Andreas Uhlig:
«Der Brexit eröffnet Chancen
Verlust an Bedeutung
Zwar finden die Verhandlungen über den Austritt direkt zwischen der Europäischen Kommission und Grossbritannien statt. Doch insbesondere die bevorstehenden Wahlen in Frankreich und Deutschland führen ein Element der Unsicherheit ein, meint Lewis. Da Wahlkampf und Wahlen die politische Stimmung in den beiden grössten Mitgliedstaaten der Union und damit indirekt auch in anderen Mitgliedländern verändern können, ist in seiner Sicht der Zeitpunkt des Austrittsgesuchs unglücklich.
Noch immer wird in der Öffentlichkeit und an den Märkten debattiert, ob der richtige Weg einschlagen worden sei. So befürwortet der Präsident von Capital Economics, Roger Bootle, so energisch den Austritt, wie er in den 1970er Jahren den Beitritt unterstützt hatte: Der Beitritt sei damals ebenso richtig gewesen wie heute der Austritt. Was sich verändert habe, seien die EU, die Welt und Grossbritannien. Die Union habe deutlich an weltwirtschaftlicher Bedeutung verloren und mache nur noch etwas über 20 statt wie vor zehn Jahren 30% des globalen Bruttoinlandprodukts aus. Die britischen Exporte in andere EU-Länder seien von 55 vor fünfzehn Jahren auf 45% geschrumpft; die Quelle wirtschaftlichen Wachstums habe sich von der Union nach China und Indien verlagert.
Während die EU ursprünglich keine monumentalen ökonomischen Fehler gemacht habe – mit Ausnahme der Landwirtschaftspolitik –, habe sie sich jetzt zu einem bürokratischen Albtraum entwickelt, der gemeinsame Markt sei zu einem Mechanismus für Überregulierung mutiert. Hinzu komme, dass sich die Welt mit dem Zusammenbruch des Kommunismus, der fortschreitenden Globalisierung und der Kommunikationsrevolution entscheidend verändert habe. Jetzt sei grösste Flexibilität gefordert – und genau diese habe die Union nicht gelernt. Schliesslich sieht Bootle drei grundlegende Fehlentscheide der Union: die Einführung des Euro, der Wohlfahrt vernichtet habe, das Beharren auf dem freien Personenverkehr und die Schengen-Regel, die ein Sicherheitsdesaster darstelle in einer Zeit, in der Sicherheit höchst kostbar sei.
Grössere Gestaltungsfreiheit
Die politisch umstrittene Frage, ob für Grossbritannien ein schlechtes Ergebnis der Verhandlungen besser wäre als gar keines (sollte es nicht zu einem beidseitig guten Abschluss kommen), wird auch am Markt gestellt. Als blanken Unsinn bezeichnet Mike Shedlock von Sitka Pacific Capital Management die oft geäusserte Ansicht, dass im Handelsbereich ein schlechtes, die Gestaltungsfreiheit stark einschränkendes Ergebnis einem Abbruch vorzuziehen sei. Er weist darauf hin, dass Grossbritannien ohne Verhandlungsergebnis frei sei, Zölle einseitig unter die Sätze der Welthandelsorganisation zu senken – auch bis auf null – und den Freihandel gemäss eigenen Bedürfnissen zu gestalten.»
NZZ, 2. April 2017: «Weltwirtschaft und Finanzmärkte – Der Brexit eröffnet Chancen»
Andreas Uhlig ist redaktioneller Mitarbeiter der NZZ mit Schwerpunkt internationale Finanzmärkte