Die Sommersession geht zuende. Der Sessions-Rückblick der AUNS:
EU-Verwerfungen stärken Neutralität und Unabhängigkeit
Das Sommertraktandum "Geschäftsbericht des Bundesrates" sollte eigentlich Auskunft geben über die "Erfüllung angestrebter Ziele und die Bewältigung unvorhergesehener Ereignisse". Über die Aussenpolitik allerdings erfährt man in diesem Dokument nahezu gar nichts. Dort steht nur: "Ende 2013 hat der Bundesrat das zentrale Mandat für Verhandlungen mit der EU im institutionellen Bereich verabschiedet. Mit diesem Mandat will der Bundesrat den bilateralen Weg erneuern und stärken."
Wars das? Am 25. Mai 2014 wurden in der Europäischen Union (EU) die Abgeordneten des Europaparlaments gewählt. Das Ergebnis lässt sich nicht schönreden: In besorgniserregendem Zustand steuert die EU auf die grösste Krise ihrer bisherigen Geschichte zu. Wie die Schweiz als EU-Nichtmitglied – mit vertraglich geregeltem Verhältnis zu Brüssel - mitbetroffen sein könnte, dazu findet man im aussenpolitischen Kapitel des bundesrätlichen "Geschäftsberichts" kein Wort. Auch die Debatte darüber führte nicht zu weiteren Erkenntnissen.
Weit verbreitetes Misstrauen
Glücklicherweise wurden diese Zusammenhänge von der Militärakademie und dem Center for Security Studies an der ETH Zürich mit einer repräsentativen Datenerhebung ergründet. In dieser Studie "Sicherheit 2014" liest man: "Die Schweizer Bevölkerung möchte so stark als möglich wirtschaftlich, politisch und vermehrt auch militärisch unabhängig sein. (...) Ein Beitritt zur EU hat weiterhin keine Chance: Nur 17 Prozent halten ihn noch für wünschenswert." Die Forderung nach einem EU-Beitritt liegt damit auf dem niedrigsten Wert seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1993. 80 Prozent der Schweizer finden, "die Schweiz sollte der EU nicht beitreten, aber die wirtschaftliche Zusammenarbeit verstärken".
Erläutert wird die distanzierte Haltung im Sicherheitsbericht 2014 so: "Dieses weit verbreitete Misstrauen gegenüber einer institutionellen politischen Zusammenarbeit mit der EU ist wahrscheinlich als Reaktion der Stimmbürger auf die anhaltende Schuldenkrise etlicher europäischer Staaten und auf die Spannungen innerhalb der Organisation zu deuten. Des Weiteren kann vermutet werden, dass die zu beobachtende Skepsis gegenüber Europa Ausdruck des anhaltenden Banken- und Steuerstreits ist." Fragen nach Sinn und Zweck tieferer "institutioneller Bindungen" an Brüssel dürften damit auch für den Bundesrat eigentlich beantwortet sein...
SVP-Fragen an den Bundesrat
In der Herbstsession kommt die Landesregierung jedoch nicht mehr darum herum, einen von der SVP-Fraktion per Interpellation präsentierten Fragenkatalog dazu zu beantworten. Der Bundesrat soll zu den Verhandlungen über eine institutionelle Einbindung der Schweiz in die EU unter anderem erklären: "Warum drängt er immer noch auf dieses Dossier, obwohl er zugeben musste, dass es de facto relativ wenig Probleme mit der Auslegung und Anwendung der Abkommen zwischen der Schweiz und der EU gibt und für die Zukunft auch keine Zunahme erwartet wird? Weshalb kommuniziert er in den Verhandlungen mit der EU so, als ob eine institutionelle Einbindung ein Anliegen der Schweiz wäre? Ist es nicht vielmehr so, dass bei der institutionellen Einbindung die EU als Bittstellerin dasteht? Weiss der Bundesrat, dass der Zweckartikel der Bundesverfassung nicht nur die gemeinsame Wohlfahrt und die Sicherheit des Landes erwähnt, sondern auch die Freiheit des Volkes und die Unabhängigkeit des Landes fordert? Trifft es zu, dass das Verhandlungsmandat des Bundesrates die dynamische Übernahme von EU-Recht in allen Bereichen, welche den Marktzugang regeln, vorsieht? Bedeutet das nicht auch die Zementierung der Personenfreizügigkeit, welche das Schweizer Volk laut Votum vom 9. Februar 2014 neu verhandeln will? Müsste der Bundesrat vor diesem Hintergrund nicht zwingend sein Verhandlungsmandat anpassen und dieses nochmals den aussenpolitischen Kommissionen zur Konsultation vorlegen? Wie stellt der Bundesrat sicher, dass die laufenden Verhandlungen mit der EU in den hängigen Dossiers (Institutionelles, Steuern, Energie, Personenfreizügigkeit usw.) mit einem koordinierten Ansatz verfolgt werden, bei dem für die Schweiz insgesamt ein Optimum herausgeholt wird?"
Demokratiefeindlicher Ständeratsentscheid
Bei der Teilrevision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte stimmte der Nationalrat im Frühling folgendem Minderheitsantrag zu: "Unterschriftenlisten, deren Eingang innert der Referendumsfrist von der Amtsstelle bestätigt worden ist, werden auch dann von der Bundeskanzlei berücksichtigt, wenn diese erst nach Ablauf der Frist bescheinigt wurden."
Zur Erinnerung: Im Herbst 2012 hatte die AUNS für ihre Referenden gegen Steuerabkommen mit Deutschland, Grossbritannien und Österreich innerhalb der gesetzlichen Frist von 100 Tagen genügend beglaubigte Unterschriften gesammelt. Aber über 140 Gemeinden waren nicht in der Lage, in den letzten Tagen der Sammelfrist ihre Beglaubigungspflicht zu erfüllen. Das führte dazu, dass die Unterschriften zu spät per B-Post (!) in Bern eintrafen. Auf die Leistungsfähigkeit der lokalen Behörden müsse Rücksicht genommen werden, fanden die Bundeskanzlei und das Bundesgericht. Das war ein allzu plumper Affront gegen die politische Mitwirkung der Schweizerinnen und Schweizer und führte zum Umdenken im Nationalrat! Die Mehrheit entschied, der Respekt vor den Volksrechten dürfe nicht von der Willkür der Post und der Gemeindebehörden abhängen.
Doch nun hat der Ständerat in der Sommersession den Beschluss des Nationalrates mit 29 zu 14 Stimmen wieder umgeworfen. Unterstützung erhielt das Anliegen des Nationalrats nur von einzelnen Grünen, der FDP und der SVP. Auch die zutreffende Argumentation des grünen Genfer Ständerats Robert Cramer, selbst am 99. Tag hätten Referendumsunterzeichner das verfassungsmässige Recht, dass ihr politischer Wille berücksichtigt werde, änderte nichts. Das Geschäft liegt nun wegen der Differenzen wieder beim Nationalrat.
Solche Sturheit politischer Technokraten gegen die direktdemokratische Mitsprache des Stimmvolks gefährdet die Freiheitsrechte. Es wird zu prüfen sein, ob die Volksrechte mittels Volksinitiative vor solchen Angriffen geschützt werden müssen.