Deutschland trainiert sich Zensur an. Wer in einem Social Channel eine Meinung publiziert, die dem Mainstream-Denken zuwiderläuft, dessen Internet-Präsenz ist in höchster Gefahr, gelöscht zu werden. Eine Kritik an Angela Merkel? Plötzlich sind Sie auf der Zensurliste des Justizministers, ihr Facebook-Account wird gelöscht.
Das Ganze läuft unter dem ehrwürdigen Ziel, «Verbreitung von Hassbotschaften» zu unterdrücken. Was genau «Hassbotschaften» sind, weiss niemand so genau. Wer darüber bestimmt, ist auch nicht so klar.
In Deutschland verabschiedet sich also die Demokratie, still und leise.
Es ist jedem klar denkenden Menschen bewusst, dass Redefreiheit nicht unbegrenzt gelten kann. Spielregeln gibts aber schon lange. Verleumdung, Beleidigung, Volksverhetzung sind Straftatbestände. Das geltende Recht wird da aber scheinbar nicht mehr durchgesetzt. Deshalb soll es die neue Zensurbehörde brauchen? Irrsinn... oder eben: Tschüss Demokratie. Unheimlich und gar nicht lustig.
Die Mainstream-Medien verlautbaren auch in dieser Sache brav nur noch das, was ihnen das Bundespresseamt vordiktiert. Es gibt keinen Aufschrei. Die Herrschenden wollen ohne das störende Volk agieren, die einstmals kritischen Medien stecken mit den Herrschenden unter einer Decke, die Staatsmedien sowieso.
Wie es begann: Eine von Berlin beauftragte «Task Force» hat im 2016 ohne Rechtsgrundlage gemauschelt und gemischelt. Es eilte, im 2017 ist Wahljahr, da ist freie Meinungsäusserung nicht erwünscht. Jedenfalls nicht die, welche der Macht-Elite zuwiederläuft. Im Dezember 2016 stellte man das Deckmäntelchen («gegen Hassbotschaften und Hetze») der Öffentlichkeit diskret vor, seit 2017 beginnt in Deutschland Zensur.
Nochmals – es ist unbestritten: Rassismus, Nationalsozialismus, Antisemitismus, Islamismus ist scharf zu verurteilen. Niemand darf diesen Denkhaltungen Raum geben. Verleumdung, Beleidigung, Volksverhetzung – dies alles sind Straftatbestände und müssen verfolgt werden. Deutschland tut nun aber so, als ob das nicht mehr funktioniere.
Mit der neuen Berliner Zensurbehörde legen ein paar Leute in ein paar Büros fest, was Wahrheit ist und was nicht. Es ist der leise Abschied der Demokratie, der Beginn von Manipulation, Gesinnungs-Hirnwäsche, Meinungs-Diktatur. Einzelne Stimmen erkennen dies, aber werden nicht gehört. «Eine Demokratie verträgt kein Wahrheitsministerium», so Volker Beck (Grüne).
Wer bestimmt, was eine «falsche» Überzeugung ist? Wer kann so genau sagen, wann eine Meinung «irrt»? Ein Kernpunkt jeder Verfassung eines demokratischen Staates ist Meinungsfreiheit. War es...
Die Deutschen sind stolz auf ihren Wirtschaftsmotor. Dieser brummt ja nicht wegen Berlin (extrem hohe Staatsquote, blinde EU-Gläubigkeit, Migrantenströme mit emsigen Nicht-Integrations-Programmen), sondern trotz Berlin. Noch. Eigenverantwortung, Fleiss, Innovation scheinen weiterhin Grundwerte unseres Nachbarn zu sein. Irgendwie meinen nun die Granden um den Justizminister und Sozialisten Heiko Maas, auch das Internet gehöre Deutschland.
«Fail», sagt dieses hoffentlich nun dazu. Die Hoffnung ist, dass die Selbstregulierung des Internets weiterhin — umso mehr — funktioniert: Dass genug gesunder Menschenverstand im Volk da ist, der die Buttons à la «Kritischer Inhalt melden» anklickt. Dass Facebook&Co. rasch und mit einer Art Kontext-Weisheit reagieren, nicht mit tumben Algorithmen.
Und dass das Zensurbüro von Heiko Maas doch noch öffentliche und scharfe, kritische Aufmerksamkeit bekommt. (Es will innert 24 Stunden unliebsame Inhalte sperren und die Internet-Dienstleister und -Plattformen direkt angehen, mit Bussen bis in Millionenhöhe.)
Was machen wohl die Chefetagen von Facebook, Google & Co, wenn ein solcher Brief mit dicker Busse vom Bundesministerium auf dem Tisch liegt? Nachdem sie ihre eigenen Hausaufgaben (Verleumdung, Beleidigung, Volksverhetzung unterbinden) erledigt haben?
Man kann nur die letzte Hoffnung äussern: Dass sie genug «Eier» haben, den Brief im grossen runden Kübel zu versenken (oh, sorry, politically correct: im Altpapier natürlich).
NZZ, 13. April 2017: Deutschland, die Zensur-Republik